Zu Krieg und Frieden in Attac – Schwierigkeiten mit der Konsensfindung
Inhaltlich spielten dabei hauptsächlich zwei Fragenkomplexe eine Rolle. Zum einen die Frage nach der Kooperation mit Spektren, die als anschlussfähig nach rechts gelten, beispielsweise bei sogenannten Mahnwachen und dem Friedenswinter 2015/2016 und zum anderen die Beurteilung Russlands und des Westens, bezüglich der Auseinandersetzungen um die Ukraine und hinsichtlich des Syrienkonflikts.
Die Frage der Abgrenzung bzw. Anschlussfähigkeit nach rechts hat aus verschiedenen Gründen derzeit etwas an Brisanz verloren. Die starken Vorbehalte gegen ein gemeinsames Auftreten mit Repräsentanten der Friedensbewegung, die in der Vergangenheit wenig Berührungsängste gegenüber rechten Strömungen hatten und nach wie vor eine hervorgehobene Rolle in der Friedensbewegung spielen, bestehen bei vielen grundsätzlich gegen Gewalt und Krieg eingestellten Menschen jedoch weiterhin.
Im Ukrainekonflikt liegen die Gegensätze vor allem in der Bewertung der Besetzung der Krim durch Russland und der Verantwortung für die eskalierenden Kampfhandlungen zwischen von Russland unterstützten Milizen sowie regulären russischen und ukrainischen Truppen, bei denen es um die Abspaltung der durch die prorussischen Kräfte proklamierten Volksrepubliken Donezk und Luhansk von der Ukraine geht.
Die Gründe für die Schwierigkeiten in den Fragen von Krieg und Frieden zu gemeinsamen Positionen zu gelangen, ließen sich zwar auch an den beiden zuvor genannten Beispielen aufzeigen, sollen hier jedoch bezüglich der kontroversen Wahrnehmung der Verantwortlichkeiten im Syrienkrieg dargestellt werden.
Dies ist einerseits aufgrund von Ausmaß und politischer Bedeutung dieses Konflikts naheliegend, aber auch, weil es zwischen den Initiator*Innen des Protests vor der russischen Botschaft im Dezember 2016, der sich gegen die Bombardierung von Ost-Aleppo und anderer Orte in Syrien durch die russischen Streitkräfte richtete und einigen Mitgliedern des wissenschaftlichen Beirats von Attac zu einer Debatte kam[1], anhand derer die Gründe für die damit verbundenen Schwierigkeiten sichtbar werden.
Im Kern geht es bei der Auseinandersetzung um die Frage, welches der beiden Lager die Hauptverantwortung für den Syrienkrieg trägt, also aus Sicht einiger Mitglieder des Wiss. Beirats von Attac, vor allem die USA, Saudi-Arabien und die Türkei sowie die jeweils von ihnen unterstützten Rebellengruppen oder eben, wie aus Sicht von Adopt a Revolution und den weiteren Beteiligten an dem Protest vor der russischen Botschaft, Russland, der Iran und das syrisch Regime unter Assad. Dabei gibt keine Seite dem von ihr als verantwortlich erklärten Lager die alleinige Schuld,
während im Text von Mitgliedern aus dem Wiss. Beirats von Attac z.B. zugestanden wird, „dass Russland und Iran, die auf der Seite des Assad-Regimes in den Krieg eingetreten sind, ihre eigenen Interessen und strategischen Ziele verfolgen“, die „Einmischung und den Gewalteinsatz ausländischer Staaten“ für falsch halten und „den Gewalteinsatz von Assad gegen die friedlichen Demonstranten, die gegen die Diktatur auf die Straße gegangen waren“ kritisieren,
stellt die Gegenseite um Adopt a Revolution fest, „Auch wir sehen und kritisieren die Kriegsverbrechen des US-Militärs in Syrien. Ob gezielte Tötungen mit Hilfe von Drohnen, der Einsatz von Uranmunition auch in Syrien oder die Militärschläge gegen den sogenannten ‚Islamischen Staat’ bei denen es immer wieder zu zivilen Toten kommt – all dies muss aufgeklärt und geahndet werden.“
Was diese Zugeständnisse konkret bedeuten und welche katastrophalen Folgen die damit verbundenen Ereignisse für die betroffenen Menschen haben, wird dabei eher beiläufig dargestellt, weil es den Unterstützer*innen der beiden Positionen vorrangig darum geht, die Hauptverantwortlichkeit des jeweils anderen Lagers nachzuweisen. Dazu werfen sie sich gegenseitig vor, die Kriegsursachen falsch darzustellen, zentrale Tatsachen zu verschweigen, selektiv nur die Kriegsverbrechen der jeweils anderen Seite zu sehen, die Quellen der Argumente nicht anzugeben bzw. zweifelhafte Quellen zu benutzen, auf Gegenargumente nicht einzugehen, mit ihrer Haltung jeglichen Friedensprozess zu blockieren und das weitere massenhafte Sterben in Syrien in Kauf zu nehmen.
Für viele der dabei benutzten Argumente, die stets als eindeutige Beweise für oder gegen bestimmte Positionen dargestellt werden, finden sich jedoch häufig ähnlich plausibel belegte Gegenpositionen. Dies gilt u.a. für die Frage, wer für den Giftgas-Angriff von Ghuota 2013 verantwortlich ist, oder den auf Chan Scheichun am 4. April 2017, aber auch für politische Bewertungen, z.B. ob die US- Außenpolitik in Syrien einen noch unter Bush Senior beschlossenen Systemwechsel anstrebt oder für die Frage, wer als Hauptverantwortlicher für den dortigen Krieg anzusehen ist?
Wo aber liegt die Wahrheit, wem und welcher Quelle soll man vertrauen? Dem ehemaligen CIA Offizier und dessen Insiderkenntnissen oder der Vertreterin der UN- Chemiewaffenuntersuchungskommission? Hat der renommierte Investigativ-Journalist recht, der seine Quellen nicht offenlegt (legen kann?), auf dessen Aussagen sich aber viele beziehen oder der andere Investigativ- Journalist, der ihm im Guardian vehement widerspricht?
Die groben Strukturen des Syrienkriegs mögen eindeutig sein, das Gesamtgeflecht der Interessen und Beteiligungen ist jedoch komplex und widersprüchlich und bedarf einer differenzierten Betrachtung. Wenn nicht zweifelsfrei geklärt werden kann was der Wahrheit entspricht, müssen Argumente und Gegenargumente dargestellt werden, dürfen vorhandene Widersprüche und Unklarheiten nicht übergangen, sondern müssen benannt werden und sind von uns auszuhalten und zu reflektieren.
Bei einem differenzierten Umgang mit dem Syrienkrieg und anderen Konflikten, wären auch unterschiedliche Bewertungen derselben innerhalb von Attac weniger problematisch. Es würde unsere Aktionsfähigkeit zum Thema gewaltsame Konfliktlösungen verbessern, wobei es dabei derzeit vordringlich um Folgendes gehen sollte:
Die Debatte über die angebliche Nützlichkeit von Kriegen in die Öffentlichkeit zu tragen und deutlich zu machen, was aus dem „Krieg gegen den Terror“ nach 16 Jahren geworden ist, dass keines der damit verbundenen Ziele erreicht ist, der zunächst auf Afghanistan beschränkte Konflikt inzwischen massiv ausgeweitet wurde und welche katastrophalen Folgen das hat.
Die wirkliche Rolle der angeblichen „Friedensmacht Europäische Union“ darzustellen, die sich in ihrer Handels-, Ressourcen- und Umweltpolitik keineswegs von den USA unterscheidet und damit ebenfalls weltweit massiv zu den Kriegsursachen beiträgt. Deren militärische Ambitionen bereits vor Trump deutlich wurden und deren Zynismus sich nicht zuletzt in der Abschottungs- und Abschiebepolitik gegenüber Geflüchteten zeigt.
Die beabsichtigte weitere Steigerung der Rüstungsausgaben (2% Ziel) zu skandalisieren und als völlig inakzeptabel zurückzuweisen.
Die Forderung nach Beendigung der Rüstungsexporte wieder in den Vordergrund zu rücken.
Die Verknüpfung von Handelspolitik, Globalisierung und Krieg zu verdeutlichen, die Umsetzung einer alternativen Handelspolitik voranzutreiben und die erforderlichen Maßnahmen zur Verwirklichung der Beschlüsse des Pariser Klimaabkommens als Minimalziele zu vertreten.
[1] Siehe hierzu:
„Erklärung zum Syrienkrieg“ unterzeichnet von 15 Mitgliedern des Wissenschaftlichen Beirats von Attac, Januar 2017
„Kein Beitrag zum Frieden“, eine Antwort auf die „Erklärung zum Syrienkrieg“, veröffentlicht im März 2017 von Adopt a Revolution und anderen Initiator*Innen der Proteste vor der russischen Botschaft
„Der Frieden in Syrien kannn nur mit Kompromiss erreicht werden“, eine Antwort einiger Mitgl. des Wissenschaftlichen Beirats von Attac, auf Adopt a Revolution u.a., vom Mai 2017
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