Was für eine Wirtschaft nach Corona wichtig wäre
Der Autogipfel und die Abwrackprämie
Als wir diese Frage Abwrackprämie im Webinar „Wirtschaft nach Corona“ diskutierten, stand der „Autogipfel“ vom 5. Mai noch bevor. Ich hatte noch an dem Wochenende vor dem „Autogipfel“ gedacht, dass die Vertreter der Automobilindustrie sich mit ihrer Forderung nach einer neuen Abwrackprämie durchsetzen würden und dass diese bereits am 5. Mai beschlossen werden würde. Ich war dann überrascht, dass die endgültige Entscheidung noch einmal vertagt wurde. Dies zeigt, wie umstritten die Subventionen für die Autoindustrie sind. Die Lage hat sich tatsächlich gegenüber der Krise von 2008/2009 verändert. Die Klimapolitik hat in der öffentlichen Diskussion ein wesentlich größeres Gewicht gewonnen, daher stößt die Forderung des Verbands der Automobilindustrie (VDA) nach einer „Kaufprämie“ für alle Fahrzeugklassen und auch für Autos mit Verbrennungsmotoren heute auf viel stärkere Kritik. Außerdem werden neuerliche Subventionen für die Autoindustrie auch von liberalen Ökonomen aus ordnungspolitischen Gründen sowie von Vertretern anderer Branchen, die dabei leer ausgehen würden, wie dem Verband der Möbelhersteller oder dem Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA), kritisiert. Ich denke, dass diese Kritik dazu geführt hat, dass die Bundesregierung noch keine definitive Entscheidung für neue Subventionen für die Autoindustrie getroffen hat.
Trotzdem besteht kein Anlass zum Optimismus. Bei dem „Autogipfel“ wurde eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die nun diskutieren soll, wie konjunkturpolitische und innovationspolitische Gesichtspunkte bei konkreten Maßnahmen verbunden werden können. In dieser Arbeitsgruppe sind keine radikalen Kritiker, sondern nur Befürworter von Subventionen für die Autoindustrie vertreten. Mit anderen Worten: Es steht dort nicht zur Diskussion, ob es neue Subventionen für die Autoindustrie geben wird, sondern wie diese konkret aussehen sollen. Der Position der Automobilhersteller steht dabei die Position gegenüber, dass primär Elektroautos gefördert werden sollten. Der konjunkturpolitische Effekt einer noch stärkeren Förderung von Elektroautos – über die jetzt schon existierende Kaufprämie hinaus – wäre allerdings gering, da die deutschen Hersteller hierzulange bisher kaum entsprechende Fahrzeuge produzieren und die entsprechenden Modelle selbst mit der staatlichen Förderung für die meisten Menschen unerschwinglich sind. Deswegen befürchte ich, dass am Ende doch irgendein „Kompromiss“ steht, der dem ähneln könnte, was die die Ministerpräsidenten von Bayern, Baden-Württemberg und Niedersachsen gemeinsam vorgeschlagen haben: Eine erneute Kaufprämie für Autos mit Verbrennungsmotor und eine noch höhere Kaufprämie für Autos mit Elektromotor. Dies entspräche der Forderung der Autohersteller, und die neue Subvention würde dann nur noch etwas „grün“ bemäntelt. In der Arbeitsgruppe sind Kritiker der Subventionen nicht vertreten; ökologische Gesichtspunkte werden wohl allenfalls von der Umweltministerin eingebracht werden. Dass diese überhaupt bei den Diskussionen dabei sein darf und die Verhandlungen nicht nur zwischen Kanzleramt, Wirtschaftsministerium, Finanzministerium und Automobilindustrie stattfinden, kann man schon als einen kleinen Fortschritt ansehen. Aber auch die Umweltministerin steht nicht für eine konsequente Verkehrswende oder eine umfassende sozialökologische Transformation. Leider fehlen Attac selbst im progressiven Spektrum der Gesellschaft die entsprechenden Bündnispartner. Denn selbst die IG Metall und einige große Umweltverbände sind durchaus für die staatliche Förderung von Elektroautos, um Arbeitsplätze in der Autoindustrie zu sichern und vermeintlich ökologische Ziele durchzusetzen. Dabei wird verkannt, dass Elektroautos mitnichten den Anforderungen an eine soziale und ökologisch nachhaltige Verkehrspolitik entsprechen. Wir bräuchten einen massiven Ausbau öffentlicher und vor allem schienengebundener Verkehrsmittel, keine Förderung von Elektroautos. Winfried Wolf hat das beispielsweise in seinem Buch „Mit dem Elektroauto in die Sackgasse“ überzeugend dargelegt. Attac muss die Diskussion mit den Umweltverbänden und der IG Metall weiterführen, aber die Kritik am Automobilismus gemeinsam mit anderen Bündnispartner wie dem Bündnis „Sand im Getriebe“ auch weiterhin auf die Straße tragen. Nur wenn sich das Kräfteverhältnis deutlich zugunsten der Befürworter öffentlicher Verkehrsmittel und zugunsten der Kritiker von (Elektro-)Autos verschiebt, werden wir weitere Subventionen für die Autoindustrie verhindern können.
Corona, Konjunkturprogramme, Wachstum
Ich möchte nicht so gerne über ein Konjunkturprogramm sprechen, denn Konjunkturprogramme zielen immer darauf, die Konjunktur zu stabilisieren, d.h. wieder neues Wirtschaftswachstum zu generieren. Wachstum an sich ist aber kein erstrebenswertes Ziel, gerade aus einer ökologischen Perspektive. Was wir in der Krise brauchen, ist zunächst eine Einkommenssicherung für die Lohnabhängigen und die kleinen Selbständigen. Der erleichterte Zugang zur Grundsicherung und das Kurzarbeitergeld reichen dafür keineswegs aus. Wir sollten uns dafür einsetzen, dass die Löhne zu 100 Prozent weitergezahlt werden und dass auch die kleinen Selbständigen ein Einkommen erhalten, das ihren Lebensstandard einigermaßen sichert, was mit der Grundsicherung sicherlich nicht gegeben ist. Wenn die Beschäftigten im öffentlichen Dienst ihr Gehalt in voller Höhe weiter beziehen, dann wäre es gerecht, wenn dies bei den Lohnabhängigen im privaten Sektor auch der Fall wäre. Die Lohnfortzahlung für die abhängig Beschäftigten kann allerdings nicht alleine Aufgabe des Staates sein bzw. auf die Arbeitslosenversicherung abgewälzt werden. Alleine die Volkswagen AG verfügt beispielsweise über Gewinnrücklagen von 100 Mrd. Euro. Warum sollten diese nicht auch für die Lohnfortzahlung genutzt werden, bevor die Arbeitslosenversicherung oder der Staat einspringen? Der Zugang zum Kurzarbeitergeld müsste also differenzierter gehandhabt werden, zugleich müssten Massenentlassungen unterbunden werden.
Wir benötigen auch ein öffentliches Investitionsprogramm, aber nicht nur wegen der aktuellen Krise, sondern auch aus strukturellen Gründen. Durch die neoliberale Politik der letzten Jahrzehnte ist die Infrastruktur in weiten Teilen verrottet bzw. zerstört worden. Ein öffentliches Investitionsprogramm muss zum einen auf die Wiederherstellung und den Ausbau der sozialen Infrastruktur und zum anderen auf eine sozialökologische Transformation unserer Gesellschaft zielen. Den notwendigen Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel habe ich bereits erwähnt. Aber das ist nicht der einzige Bereich, in dem umfangreiche öffentliche Investitionen notwendig sind. Durch die Corona-Pandemie sind vor allem die Defizite im Gesundheitswesen offensichtlich geworden. In unseren Krankenhäusern und Pflegeheimen fehlen mehr als hunderttausend Kranken- und Altenpflegerinnen und -pfleger. Das liegt auch daran, dass diese zu schlechte Arbeitsbedingungen haben und viel zu schlecht bezahlt werden. Die Kommunen müssten so finanziert werden, dass sie nicht gezwungen sind, ihre Krankenhäuser zu verkaufen; die Krankenhausprivatisierungen, die bereits stattgefunden haben, müssten vielmehr rückgängig gemacht werden. Das Gesundheitswesen als Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge darf nicht dem permanenten Kostensenkungs- und Profitdruck ausgesetzt werden. Daher muss das gegenwärtige System der Fallpauschalen abgeschafft werden und durch eine Form der Finanzierung ersetzt werden, die tatsächlich die Kosten der Krankenhäuser deckt, so wie es das Bündnis „Krankenhaus statt Fabrik“ fordert. Umfangreiche öffentliche Investitionen sind auch im Bildungswesen, im sozialen Wohnungsbau, bei der ökologischen Gebäudesanierung, bei der Wiederaufforstung der absterbenden Wälder und in vielen weiteren Bereichen notwendig.
Wie beurteilst du nach über 30 Jahren neoliberaler Wirtschaftspolitik und zunehmend autoritärerer Politiken in vielen Ländern die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse? Kann es gelingen, in dieser Krise dafür zu mobilisieren, die richtigen Lehren zu ziehen und für eine solidarische und ökologische Wirtschaft zu streiten?
Gesellschaftliche Krisen sind stets offene Situationen, und zwar in höherem Maße als Perioden, in denen die Verhältnisse gefestigt erscheinen und alles normal seinen Gang geht. Wir dürfen uns aber keine Illusionen machen. Die emanzipatorisch orientierten gesellschaftlichen Kräfte sind seit Jahrzehnten in der strategischen Defensive. Mit anderen Worten, unsere Kräfte sind schwächer als die unserer Gegner. In der letzten großen Finanz- und Wirtschaftskrise gab es riesige Massenbewegungen gegen die Austeritätspolitik, die 2011 ihren Höhepunkt erreichten. Diese Bewegungen haben überall Niederlagen erlitten, letztlich ist es nirgends gelungen, die Kräfteverhältnisse nachhaltig zugunsten der emanzipatorischen Kräfte zu verschieben. Besonders zugespitzt wurde dies in Griechenland mit der Unterzeichnung des dritten „Memorandums“ durch die Syriza-Regierung im Sommer 2015 deutlich. Infolge der Niederlagen der Massenbewegungen haben nationalistische, autoritär-populistische, antifeministische und rassistische Kräfte Auftrieb erhalten. In der gegenwärtigen Krise sind nun zunächst fast überall die regierenden Kräfte gestärkt worden, in Deutschland primär die dominante Staatspartei, die CDU/CSU. Solange die Regierungsparteien den Eindruck vermitteln können, sie hätten die Lage im Griff und würden die notwendigen Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung ergreifen, wird dies auch so bleiben. Wenn sich die Krise allerdings weiter zuspitzt, könnten die regierenden Kräfte an Zustimmung verlieren. Nach der Lage der gesellschaftlichen Tendenzen, die sich in den letzten Jahren entwickelt haben, würden dann wohl eher die reaktionären als die emanzipatorischen Kräfte gestärkt werden. Wir sollten uns durch eine realistische Einschätzung der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse jedoch nicht entmutigen lassen. Die Diagnose, dass wir weiterhin in der strategischen Defensive sind, besagt lediglich, dass es notwendig ist, genau zu untersuchen, an welchen Punkten wir am ehesten taktische Erfolge erzielen können, und unsere Kräfte auf diese Punkte zu konzentrieren.
Was sind die drei wichtigsten Forderungen, um die Krise produktiv zu nutzen und die ökonomischen Bedingungen grundlegend zu verändern?
Obwohl ich selbst betont habe, dass es wichtig ist, unsere Kräfte auf die Punkte zu konzentrieren, wo am ehesten Erfolge möglich sind, fällt es mir nicht ganz leicht, zu entscheiden, welche drei Forderungen am wichtigsten sind, denn es gibt in unserer Gesellschaft so vieles, was verändert werden müsste. Ich würde vorschlagen, dass wir uns vielleicht auf die folgenden Punkte konzentrieren, die ich zum Teil bereits angesprochen hatte:
- die Beseitigung des Systems der Fallpauschalen in der Krankenhausfinanzierung und die Einführung einer Form der Krankenhausfinanzierung, die die vollen Kosten deckt und verhindert, dass Krankenhäuser zur Anlagesphäre für Kapital werden und unter permanentem Profitabilitätsdruck stehen. Ich denke, dass es infolge der Covid-19-Pandemie breite Zustimmung dafür gibt, dass die Krankenhäuser als Teil der sozialen Infrastruktur und der Daseinsvorsorge angesehen werden müssen und der Kapitalverwertung entzogen werden müssen. Dies würde es auch ermöglichen, die Arbeitsbedingungen der Krankenpflegerinnen und –pfleger zu verbessern, ihre Löhne zu erhöhen und die Betreuungsrelation zwischen Krankenpfleger*innen und Patient*innen zu verbessern.
- die Beendigung der Subventionen für die Auto- und Luftfahrtindustrie und stattdessen der Ausbau des ÖPNV und der Bahn durch massive öffentliche Investitionen. Meinungsumfragen haben gezeigt, dass es eine sehr deutliche Mehrheit in der Bevölkerung gibt, die gegen eine neue Abwrackprämie ist, auch gegen eine vermeintlich ökologische Förderung von Elektroautos. Daran können wir anknüpfen.
- die bundesweite Begrenzung bzw. Absenkung der Mieten durch Maßnahmen wie den Berliner Mietendeckel, die Initiative zur Vergesellschaftung der privaten Immobilienkonzerne und die Förderung des genossenschaftlichen und sozialen Wohnungsbaus. Auch hier gibt es eine breite Zustimmung in der Bevölkerung. Die Mieten waren für viele Haushalte schon vor der Coronakrise untragbar, jetzt sind sie es erst recht. Eine bloße Stundung der Mietzahlungen für ein paar Monate, wie sie die Bundesregierung ermöglicht hat, reicht nicht aus, um dieses Problem zu beheben. Auch hier müssen wir für strukturelle Veränderungen kämpfen, denn auf der Basis des „freien Marktes“, d.h. der kapitalistischen Verwertung von Grund und Boden, der profitorientierten Bau- und Immobilienwirtschaft ist es unmöglich, die Bevölkerung ausreichend mit bezahlbarem Wohnraum zu versorgen.
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