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Versammlungsfreiheit – Ein Praxisleitfaden.

Rezension zu Jasper Prigge: Versammlungsfreiheit– Ein Praxisleitfaden, Düsseldorf 2019.

Jasper Prigge liefert mit seinem Praxisleitfaden nicht nur einen guten Einstieg in das Versammlungsrecht, sondern auch ein hilfreiches Nachschlagewerk für alle, die im Rahmen ihrer politischen Aktivitäten Versammlungen organisieren. Zu dem für einen juristischen Text erstaunlich leicht lesbaren Buch gibt es zwei Zugänge: Es kann von vorne bis hinten gelesen werden, um einen kompletten Überblick über das Versammlungsrecht zu bekommen. Es können aber auch einzelne rechtliche Sachverhalte gezielt nachgeschlagen werden, beispielweise wenn man wissen möchte, wann und wie eine Versammlung unter freiem Himmel angemeldet werden muss (40 ff).

Bereits der Einstieg in den Text beginnt praxisnah. Im ersten Kapitel „Von der Idee auf die Straße“ gibt der Autor einen ersten groben Überblick, wie bei der Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung einer Versammlung am besten vorgegangen wird. Danach erläutert er im zweiten Kapitel die rechtlichen Grundlagen der Versammlungsfreiheit und ordnet diese auch politisch ein: „Die Versammlungsfreiheit hat für demokratische Gesellschaften eine grundlegende Bedeutung ... ist eines der vornehmsten Menschenrechte überhaupt (20)“ Sie „ist insbesondere ein Minderheitenrecht, durch das Kritik ... an der Mehrheit ausgedrückt werden kann. Sie erhält damit letztlich Meinungsvielfallt und Pluralität, ohne die eine Demokratie erstarrt.“(20) Wichtig ist dem Autor, darauf hinzuweisen, dass die Versammlungsfreiheit ein Abwehrrecht gegen den Staat ist und diesem nicht erlaubt ist, Versammlungen beliebig zu erschweren (20). In diesem Kapitel referiert Prigge die zugrundeliegenden Passagen des Grundgesetzes und des Versammlungsgesetzes, sowie wesentliche Urteile zur Sache. Dabei geht er nicht nur auf Kundgebungen und Demonstrationen ein, sondern auch auf Protestcamps, Sitzblockende oder politische Konzerte. Das Bundesverfassungsgesetz zitierend fasst er den Charakter von Versammlungen wie folgt zusammen: „Versammlungen im Sinne des Artikel 8 GG (sind) örtliche Zusammenkünfte mehrerer Personen zwecks gemeinschaftlicher Erörterung und Kundgebung mit dem Ziel der Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung.“ (25) Auf den Charakter von Sitzblockaden geht Prigge ausführlicher ein und zeigt auf, wann sie dem Versammlungsrecht unterliegen und sich die Teilnehmenden auf die im Grundgesetz garantierte Versammlungsfreiheit berufen können. Das dritte Kapitel widmet Prigge dem Versammlungsgesetz und gibt zudem Hinweise, welche Gesetze bei Versammlungen sonst noch beachtet werden müssen.

Ab dem vierten Kapitel geht es direkt in die Praxis: Wie wird eine Veranstaltung angemeldet und was ist dabei zu beachten. Prigge macht darauf aufmerksam, dass Versammlungen unter freiem Himmel zwar angemeldet werden müssen, es aber keiner Genehmigung durch die staatlichen Behörden bedarf (39). Während bei Demonstrationen die Pflicht zur Anmeldung eindeutig ist, ist sie beispielweise bei Flashmobs umstritten. Wer rechtlich auf der sicheren Seite sein will, kann einen Flashmob anmelden und die Anmeldebehörde auf deren Geheimhaltungspflicht hinweisen, um den Überraschungseffekt nicht zu schmälern (39). Besonderheiten stellen Eilversammlungen dar, die aufgrund besonderer Umstände nicht im Rahmen der üblichen 48-Stundenfrist angemeldet werden können oder Spontanversammlungen, bei denen keine Anmeldung möglich ist, weil sie aus einer Situation heraus entstehen (42f).

Das Kapitel fünf widmet sich einem Thema, das weniger aus den gesetzlichen Grundlagen entspringt, sondern mehr aus der Veranstaltungspraxis: Dem Kooperationsgespräch. Wer als Anmelder*in schon einmal zu einem solchen Gespräch eingeladen wurde und dann unvorbereitet einem fünfzehnköpfigen Gremium aus Polizei und kommunalen Behörden gegenüber saß, wird dieses Kapitel zu schätzen wissen, denn „diese für Anmelder/innen meist ungewohnte ‚Behördenfront‘ kann einschüchternd wirken“ (51). Prigge berichtet aus seinem reichhaltigen Erfahrungsschatz, wie man sich am besten auf dieses Gespräch vorbereitet und wie mit Einschüchterungsversuchen der Behörden umgegangen werden kann. „Ein Kooperationsgespräch findet nicht statt, damit die Versammlungsbehörde den Veranstalterinnen und Veranstaltern diktiert, wie die Versammlung ablaufen soll. Die Versammlungsfreiheit ist ein demokratisches Recht und keine Gnade des Staates.“ (50) Dies gilt auch für Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt der Versammlung. Die Veranstalter*innen haben hier ein „Selbstbestimmungsrecht“. Um dies zu unterstreichen zitiert Prigge das Bundesverfassungsgericht: „Die Bürgerinnen und Bürger sollen damit selbst entscheiden können, wo sie ihr Anliegen ... am wirkungsvollsten zur Geltung bringen.“ Er gibt allen, die zu einem Kooperationsgespräche eingeladen sind, noch wichtige Tipps auf den Weg: Niemals alleine hinzugehen und keine Auflagen direkt zu akzeptieren. Auch zu Fragen wie GEMA-Gebühren und Essen- und Getränkeständen sowie Hilfsmitteln und Sanitätsdiensten gibt das Kapitel wichtige Hinweise.

Versammlungen müssen nicht genehmigt, können aber verboten werden. „Ist die Behörde der Auffassung, dass von der Versammlung eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgeht, kann sie geeignete Auflagen erlassen und als letztes Mittel ein Versammlungsverbot aussprechen.“ (77) Wann Versammlungen verboten werden können und wie man sich dagegen sowie gegen rechtswidrige Auflagen wehren kann, ist Inhalt des sechsten Kapitels. Versammlungen können nur dann verboten werden, wenn eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit besteht. Um diese nachzuweisen, muss die Versammlungsbehörde eine Gefahrenprognose abgeben. Sie ist hier in der Darlegungs- und Beweislast – bloße Verdachtsmomente oder Vermutungen reichen nicht aus. Prigge setzt sich in diesem Kapitel auch intensiv mit Auflagen für Veranstaltungen auseinander, beispielweise für Transparentstangen oder Beschallungsanlagen. Auflagen dürfen nur dazu dienen, Gefahren abzuwenden. Sie dürfen eine Versammlung nur insoweit einschränken, wie dies unbedingt nötig ist. Gegen das Verbot einer Versammlung und auch gegen Auflagen kann gerichtlich vorgegangen werden. Zuständig sind die Verwaltungsgerichte.

Im siebten Kapitel gibt Prigge noch einige praktische Tipps für die Durchführung der Versammlung. Beispielsweise empfiehlt er, als Anmelder*in nicht auch noch andere Rollen bei einer Demonstration zu übernehmen, um den Aufgaben während der Versammlung gerecht werden zu können. Bei größeren Demonstrationen empfiehlt sich aus seiner Sicht ein Demo-Rat, um eine verlässliche Entscheidungs- und Kommunikationsstruktur zu haben. Sehr ausführlich beschreibt er die Rechte und Pflichten der Veranstaltungsleitung und gibt Hinweise zur Rolle der Ordner*innen. Beigefügt ist außerdem eine Checkliste, was bei der Einweisung der Ordner*innen zu beachten ist.

Mit dem Ende der Versammlung ist die Arbeit noch nicht erledigt. Prigge empfiehlt zu jeder Versammlung auch einen Nachbereitung zu machen. Was dabei zu tun ist, beschreibt er im letzten Kapitel. Auch hier finden sich wieder wichtige Hinweise für Anmelder*innen von Versammlungen. So beispielsweise der, dass nach den Informationsfreiheitsgesetzen der Länder die Protokolle der Kooperationsgespräche eingesehen werden können. Entsprechende Musterschreiben dafür liegen dem Leitfaden bei.

Nicht nur für diejenigen, die Versammlungen anmelden, ist der Praxisleitfaden hilfreiche Lektüre. Auch wer sich nur über die wichtigsten Tendenzen im Versammlungsrecht informieren will, ist gut bedient.


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