Sebastian Friedrich: Der Aufstieg der AfD
Rechtzeitig vor dem Parteitag der AfD Ende Januar legt Sebastian Friedrich eine Analyse der neurechten „Alternative für Deutschland“ vor. In vier Kapiteln geht er den inneren und äußeren Bedingungen ihres bisherigen Erfolges nach: „Ein rechtskonservativ-national-neoliberales Bündnis“ steht am Anfang, eine „Entwicklung nach rechts“ prägt die Geschichte zwischen Bundestagswahl und dem Jahresende 2014. Inzwischen handelt es sich um eine „Partei des Mittelstandes und der reaktionären Teile der Mittelklasse“ und im Rahmen einer „rechten Offensive“ steht die AfD für den Versuch einer Neuzusammensetzung der Rechten.
Das ist eingängig geschrieben, gut recherchiert und knapp und eindeutig formuliert. Das Büchlein hat also eine hohe Lesbarkeit und eignet sich auch wegen seiner überschaubaren Länge als Lektüre für weniger Lesegübte, ein bei der von der AfD angezogenem Klientel vielleicht nicht ganz unwichtiger Aspekt.
Dabei weist Friedrich überzeugend nach, dass die AfD keinesfalls die eurokritische Ein-Punkt- Partei ist (und eigentlich auch nie war), für die sie vielfach immer noch gehalten wird. Ihr Medienstar Lucke gehört wie eine ganze Reihe anderer Gründungsmitglieder zu einer Riege extrem marktgläubiger Neoliberaler, die viel mehr als die Ablehnung des Euro das Anliegen umtreibt, dass das in Deutschland im Rahmen des verschärften Standortwettbewerbs zusammengeraffte Geld auch in Deutschland bleibt. Da gibt es starke Parallelen zur von Hans-Werner Sinn und dem Ifo-Institut inspirierten Bogenberger Erklärung, die genau dieses Argument ausbuchstabiert. Sie wurde von keiner der AfD-Größen unterzeichnet und Friedrich erwähnt sie auch nicht, aber hier gibt es die inhaltlichen Anschlusspunkte an einen bestimmten Teil des wirtschaftswissenschaftlichen Mainstreams.
Von Anfang an gibt es in der AfD auch einen gesellschaftspolitisch reaktionären Flügel, dem konservative Familienpolitik, etwa bei der Verteidigung „christlicher Werte“ wie der Ablehnung von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften oder Sexualkundeunterricht ein Herzensanliegen ist. Seine wichtigste Repräsentantin ist die Europaabgeordente Beatrix von Storch, die gleichzeitig Vorstand der Zivilen Koalition ist. Dabei handelt es sich um ein Netzwerk konservativ-reaktionärer Intiativen für das „von den Parteien verspielte Vertrauen der Menschen“, für den Vorrang der „Ehe zwischen Mann und Frau…vor anderen Lebensgemeinschaften“ und für „eine Steigerung der Geburtenrate“. Antifeminismus und Kampf gegen Abtreibung spielen eine große Rolle. Da auch Stichworte wie die Rückführung des „Staat(es) auf seine Kernkompetenzen“ oder die „dauerhafte Sanierung der Staatsfinanzen“auftauchen, ergibt sich die notwendige Überschneidung zu den Neoliberalen um Lucke, der familienpolitisch weniger interessiert erscheint.
Eine Analyse der Anhängerschaft der AfD durch das Forsa-Institut zeigt, dass sie „überwiegend aus der Mittelschicht (53%) und der Oberschicht (26 %)“ kommen. „Mehr als die Hälfte…(55%) hat Abitur und 44% verfügen über ein Haushaltsnettoeinkommen von mindestens 3000 EUR.“ (S.76) Das unterscheidet sie grundlegend von den AnhängerInnen neonazistischer Parteien. Wenig überraschend also, dass „in Gebieten mit vielen SGBII-Empfängern…die AfD weniger erfolgreich“ bei den Landtagswahlen in Brandenburg war, ihrem bisher größten Erfolg mit 12 Prozent. In Sachsen gaben 46 Prozent der AfD-WählerInnen an, sich als Verlierer der gesellschaftlichen Entwicklung zu sehen, im Gegensatz etwa zu 13 Prozent bei der CDU oder auch nur 30 Prozent bei der Linken (S. 77). Daraus folgt eine massive Ablehnung von „Zuwanderung“ und der Ruf nach verstärkter „Bekämpfung der Kriminalität“ (S. 78ff).
Zur Wahrnehmung oder Befürchtung des eigenen sozialen Abstiegs kam bei einem Teil der Mittelschicht „eine Ablehnung der gegenwärtigen Parteiendemokratie“ (S. 82). Das ist in dieser Form ein klassisches rechtsradikales Motiv, das so schon von den Nazis angesprochen und genutzt wurde („Parteiengezänk“, „Quatschbude Parlament“). Von einer Analyse der tatsächlich fehlenden Repräsentanz der Interessen breiter Bevölkerungsschichten im Regierungshandeln unterscheidet es sich dadurch, dass es nicht auf eine umfassende Demokratisierung des politischen Alltags zielt, sondern lediglich auf die Absicherung des eigenen materiellen Interesses. Friedrich interpretiert das auf der Basis eines „Rechtstrend(s) in der Mitte der Gesellschaft“ (S. 86) und einer Tradition „nationale(r) und rassistische(r) Wendung von Unzufriedenheit“ in Deutschland. Diese könnte man angesichts der Tatsche, dass im Gegensatz zu praktisch allen mittel- und nordeuropäischen Ländern rechte Parteien in der BRD bisher nicht Fuß fassen konnten, aber auch bezweifeln.
Dennoch „entbehrt es nicht der Absurdität“, dass „ausgerechnet die…Bevölkerungsgruppe sich von der AfD vertreten wähnt“, die unter der neoliberalen Konkurrenzverschärfung massiv zu leiden hatte. Das Herausfallen vieler (Fach)Arbeiter, Selbstständiger und Kleinunternehmer aus der Mittelschicht ist ja unbestreitbar, aber deren „materiellen Ängsten mit einer weiteren Wettbewerbsverschärfung begegnen“ zu wollen, sei schon paradox (S. 88f), meint Friedrich berechtigterweise. Zusammenfassend konstatiert er: „Zum einen gründet der Aufstieg der Partei auf der Klassenfraktion derjenigen mittelständischen Unternehmen, die sich zunehmend aus dem Interessenverbund mit dem transnationalen Kapital lösen; zum anderen den Teil der Mittelschicht und besserverdienenden Teil der Arbeiterklasse, der Abstiegsangst und postdemokratisches Unbehagen in reaktionärer Weise verarbeitet.“ (S. 94)
Nach der Bundestagswahl wandte sich die AfD in ihrer öffentlichen Selbstdarstellung und in den Wahlkämpfen deutlicher den ideologisch konservativen und reaktionären Themen zu als den wirtschaftspolitischen. Das hatte auch damit zu tun, dass die ostdeutschen Landesverbände, die 2014 drei Landtagswahlen zu bestreiten hatten, eher zum rechten Parteiflügel gehören. Der hat seinen Einfluss in der Partei stark ausgeweitet, eine Entwicklung, der Lucke nur entgegentritt, wenn sie den Zusammenhalt der drei wichtigsten Strömungen – Neoliberale, Konservativ-Nationale und ideologisch Antimoderne – oder seine eigenen Machtansprüche gefährdet. Ein bei der Gründung einmal vorhandener klassisch liberaler Flügel war immer minoritär und „hat die Partei mittlerweile fast vollständig verlassen“ (S. 64).
Friedrich zieht zur Erklärung des gesellschaftspolitischen Projekts, für das die AfD stehen könnte, die Entwicklung der Republikaner in den USA seit den 70er Jahren als Beipiel heran, die „durch Bündinsse der christlichen Rechten, der Neokonservativen, Teilen der weißen Arbeiterklasse sowie Teilen des Kapitals ein neues rechtes Machtkonglomerat“ schufen (S.99). Für Deutschland heißt das, dass die AfD für ein Projekt steht, das „ökonomisch…eine stärker an den deutschen Interessen ausgerichtete Spielart des Neoliberalismus“ fordert und „moralisch…die gesellschaftlichen Modernisierungen rückgängig“ machen soll (S. 102). „Medial wird das Bündnis…begleitet durch die Wochenzeitung Junge Freiheit, die seit Jahren ihre Auflage steigern kann. Im Internet gibt es eine ganze Reihe von Blogs und Seiten wie Politically Incorrect, blu-News, Die freie Welt, die hoch frequentiert sind und sich der Sache der AfD verschrieben haben.“ (S. 103) Hinzuzufügen wären die hier unerwähnten Deutschen Wirtschafts- und Deutschen Mittelstandsnachrichten, die eine Wirkung bis weit in die globalsierungskritische Bewegung hinein entfalten.
So versucht die AfD, „dieses breite Spektrum des Rechtskonservatismus, National-Neoliberalismus und Rechtspopulismus zu vereinen – und grenzt sich dabei von Neonazis klar ab“ (S. 105). Teile der intellektuellen Neuen Rechten und so manche Verschwörungstheoretiker kommen dazu. Bisher waren diese Strömungen zutiefst zerstritten und/oder auf verschiedene Parteien verteilt. Sehr zum Missfallen des Autors sieht er in der AfD das Potenzial, diese Spaltungen zu überwinden und sich dauerhaft als rechtes Hegemonieprojekt zu etablieren.
Leider gibt es nur die Andeutung einer Überlegung, was das für die gesellschaftliche Linke an Konsequenzen bedeuten kann und muss. Dennoch ist es ein sehr wichtiges und für die Auseinandersetzung mit der AfD hilfreiches Buch.
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