Mobilitätsplattformen gehören in öffentliche Hand
Für die einen sind auf dem Gehweg herumliegende Elektroroller ein Ärgernis. Für die anderen sind multimodale Mobilitätsangebote die Voraussetzung dafür den ÖPNV 2.0 so attraktive zu machen, dass die Menschen auf ihr eigenes Auto verzichten. Die einen sehen die Gefahr, dass nach Suchmaschinen, Social Media und E-Commerce nun auch die Mobilität in die Fänge von finanzstarken Technologiekonzernen gerät. Die anderen sehen die Chancen, dass Kommunen selber aktiv werden und eigene Mobilitätsplattformen aufbauen und betreiben – im Interesse der Menschen und mit ökologischer Zielsetzung. Eines ist jedenfalls klar: Digitale Plattformen zur Vermittlung von Mobilitätsdiensten sind dabei, den Personennahverkehr in den Städten neu zu strukturieren. Die datenbasierte Vernetzung von Bus, Bahn, Auto, Roller und Rad über Smartphone-Apps, die sich flexibel individuellen Bedürfnissen anpasst, stellt für viele Menschen ein attraktives Angebot dar.
Welche Rolle digitale Mobilitätsplattformen in einer sozialen und klimagerechten Mobilitätswende spielen können wird mittlerweile auch in der Verkehrswendebewegung diskutiert – so auch in der „einfach.umsteigen“ Kampagne von Attac. Um die Bedingungen für gemeinwohlorientierte Mobilitätsplattformen in öffentlicher Hand genauer zu beleuchten hat Attac Deuschlad und die Rosa-Luxemburg-Stiftung die Studie "Öffentliche Mobilitätsplattformen – Digitalpolitische Strategien für eine sozial-ökologische Mobilitätswende" in Auftrag gegeben. Die Autor*innen Dominik Piétron, Anouk Ruhaak und Valentin Niebler kommen dabei zu durchaus positiven und hoffnungsvollen Ergebnissen was die Chancen von öffentlichen Plattformen angeht.
Private Anbieter sind ein Problem
Die Studie kommt zu dem klaren Ergebnis, dass die Expansion von privaten Plattformunternehmen in den Personennahverkehr die sozial-ökologische Verkehrswende gefährdet. Sie bringen zumeist zusätzliche Fahrzeuge auf die innerstädtischen Straßen, etablieren neue prekäre Beschäftigungsverhältnisse und erhalten exklusiven Datenzugriff auf die Bewegungsprofile von Millionen Menschen. Private Mobilitätsplattformen wollen eine eigene Verkehrsinfrastruktur aufbauen, die nicht dem Gemeinwohl oder Klimaschutz dient, sondern der Vermarktung von Mobilitäts-Start-Ups und deren Investoren. Dies zeigt sich beispielsweise daran, dass die privaten Sharing-Angebote sich auf zahlungskräftiges Publikum in Innenstädten konzentrieren und Bereiche wie städtische Randgebiete oder den ländlichen Raum – wo On-Demand-Angebote eine sinnvolle Ergänzung des ÖPNV sein könnten – außen vor lassen. Weiterhin wollen private Anbieter den ÖPNV meistens nicht ergänzen sondern ihn ersetzen.
Mobility-as-a-Service (MaaS) – Plattformen der zweiten Generation
Damit sich Verkehrsteilnehmer*innen in der zunehmend komplexen Mobilitätslandschaft zurechtzufinden, haben sich zahlreiche digitale Mobilitätsmärkte herausgebildet. Die Studie zeigt auf, dass unter dem Motto „Mobility-as-a-Service“ (MaaS) Mobilitätsplattformen der zweiten Generation entstehen, die verschiedenen Sharing-Angebote, Fahrdienste und den ÖPNV bündeln und besonders leicht zugänglich machen. Mit nur einer Registrierung per Smartphone-App sollen Nutzer*innen Zugriff auf verschiedene Mobilitätsdienste erhalten und diese direkt online bezahlen können. Unternehmen wie GoogleMaps, Moovit oder FreeNow wollen sich auf diese Weise zu einer Art „Amazon der Mobilität“ entwickeln und andere Mobilitätsdienste in ihre Wertschöpfungsketten integrieren. Inzwischen entwickeln sich digitale Mobilitätsmärkte nach dem Mobility-as-a-Service-Ansatz zum dominanten Leitbild im Personennahverkehr. Ihr Geschäftsmodell beruht nicht auf der Bereitstellung eigener Fahrzeuge, sondern auf dem digitalen Vertrieb bzw. der Vermarktung von externen Mobilitätsdiensten – so wie auch der Amazon Marketplace größtenteils aus Angeboten externer Händler besteht. Diese Plattformen sind nicht mehr Teilnehmer*innen im Markt, sondern sie sind der Markt und bestimmen die Teilnahmebedingungen am Markt und generieren erhebliche Monopolrenten.
Öffentlicher Plattform-Kommunalismus statt prívate Plattformmonopole
Die Chancen für öffentlich betriebene Mobilitätsplattformen stehen besser als man vielleicht denken würde. Dies liegt daran, dass Kommunen bei Mobilität zwei Trümpfe in der Hand haben, die so in anderen Bereichen der Digitalisierung nicht existieren. Kommunen betreiben seit alters her den ÖPNV und sie können regulierend in ihrem Gebiet eingreifen.
Laut der Studie werden mehr als die Hälfte der deutschen MaaS-Plattformen von öffentlichen Verkehrsunternehmen betrieben. Die Kommunen vernetzen sich außerdem zunehmend zu einem interkommunalen Plattformsystem. Die Studie hat 25 MaaS-Plattformen für Verkehrsräume in Deutschland identifiziert und analysiert. Von diesen sind 17 in öffentlicher Hand. 14 werden von Kommunen betrieben und drei sind überregional bei der Deutschen Bahn angesiedelt. Das zeigt, dass viele Kommunen willens sind, ihre Rolle als Daseinsversorger der Mobilität ernst zu nehmen.
Allerdings fehlt bei den meisten Kommunen der Schritt hin zu einer „technologischen Souveränität“. Die meisten öffentlichen MaaS-Angebote basieren auf White-Label-Lösungen von privaten Softwareherstellern. Um nicht in kostspielige Abhängigkeiten zu geraten, sollten Kommunen ihre eigene IT-Kompetenz ausbauen. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Stadt Wien. Im Jahr 2016 haben die Wiener Linien und die Wiener Stadtwerke die Upstream Mobility GmbH als Tochterunternehmen gegründet. Das Unternehmen ist explizit gemeinwohlorientiert und bietet Softwarelösungen für öffentliche Verkehrsunternehmen an. Die Upstream Mobility versorgt mittlerweile alle großen österreichischen Städte mit Maas-Software, die auf die speziellen Bedürfnisse von öffentlichen Anbietern zugeschnitten sind. Das Unternehmen ist auch in Hamburg und Stuttgart an der Entwicklung von Mobilitätsplattformen beteiligt.
Zusätzlich können Kommunen regulierend in ihrem Gebiet eingreifen. Beispielsweise hat das Land Bremen 2019 sein Landesstraßenrecht geändert und eine Sondernutzungserlaubnis für E-Scooter-Sharingdienste eingeführt. Die Sondernutzungserlaubnis wurde an eine Reihe Auflagen gebunden, die die Sharingdienste erfüllen müssen.
Öffentliche Mobilitätsplattformen als sozial-ökologische Infrastrukturpolitik
Die Studie identifiziert einige zentrale Kriterien, die öffentliche Mobilitätsplattformen erfüllen müssen, um tatsächlich zu einer sozial-ökologischen Verkehrswende beizutragen:
- Ergänzung des ÖPNV durch On-Demand-Angebote für die „letzte Meile“. Sharing-Fahrzeuge können in den städtischen Außenbezirken, wo die ÖPNV-Abdeckung in der Regel abnimmt, eine wichtige Ergänzung zu Bus und Bahn darstellen. Das gleiche gilt auch für ländliche Gebiete. Wichtig ist, dass die Angebote den ÖPNV ergänzen und ihn nicht ersetzen.
- Öffentliche Mobilitätsplattformen können zum „Gesicht“ eines modernen und attraktiven ÖPNV 2.0 werden. Die Plattform ist dann die Schnittstelle zu allen Angeboten in der Kommune.
- Förderung von sozial-ökologischen Mobilitätsdiensten wie zum Beispiel nicht-kommerzielle Mitfahrplattformen, nachbarschaftliche „peer-to-peer“ Dienste oder genossenschaftliche Taxi- oder Shuttle-Services.
- Gute Arbeitsbedingungen können unterstützt werden, indem Sozialstandards als Zugangsbedingungen für private Mobilitätsdienste gesetzt werden.
- Umweltfreundliche Angebote können durch die Algorithmen bevorzugt werden.
- Da öffentliche Plattformen keine werbefinanzierten Geschäftsmodelle betreiben, haben sie größere Handlungsmöglichkeiten hinsichtlich Datensparsamkeit und Datenschutz. Außerdem können anonyme Bezahlsysteme zum Einsatz kommen, bei denen nur der Geldfluss an die privaten Anbieter weitergeleitet wird, nicht aber die Identität der Nutzer*innen.
Politische Handlungsoptionen
Die Studie zeigt auf, dass die „digitale Privatisierung“ der Mobilität am besten verhindert werden kann, indem Uber und Co. überflüssig gemacht werden. Öffentliche Plattformen können zur Realisierung einer radikalen Verkehrswende beitragen, wenn sie richtig gemacht werden.
Nun kommt es darauf an, die Erkenntnisse der Studie politisch wirksam werden zu lassen. Lokale Allianzen zwischen regionalen Verkehrsbetrieben, progressiven kommunalen Politiker*innen und Aktivist*innen der Verkehrswende- und Klimagerechtigkeitsbewegungen können sich dafür einsetzen, dass durch den Aufbau öffentlicher Mobilitätsplattformen die Interessen der Menschen gewahr bleiben und Uber keine Chance bekommt.
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