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Google gegen Altern und Tod

„Beendet das Altern und den Tod“1 so lautet das vollmundige Motto eines Goggle Projekts, das Ray Kurzweil, der Technologie Direktor des Konzerns im Herbst 2014 mit großem finanziellen Aufwand startete. Dabei geht es nicht um Botox, Schönheitschirurgie oder Einfrieren zur Lebensverlängerung. Vielmehr wird an der Schnittstelle zwischen menschlichem Gehirn und Technik „gegooglet“: Implantate zur Steigerung der kognitiven Fähigkeiten, Neural Engeneering zur allgemeinen Erweiterung des menschlichen Bewusstseins, darüber hinaus Cyborgisierung auch gesunden Körpergewebes, um Widerstandsfähigkeit und Lebensdauer zu steigern.
Kurzweil geht es um die genetische Optimierung des Menschen, zu der ihm durch Informations- und Biotechnologie verholfen werden soll. In seinem Buch „homo s@piens“2 mit der ausdrucksstarken Schreibweise von s@piens berichtet er davon.
Das Google Projekt testet in einem ersten Schritt Möglichkeiten der Selbstlernbefähigung von Datenträgern: riesige von Googles Suchmaschinen gesammelte und verglichene Datenmengen sollen sich sozusagen selbst weiter entwickeln, indem sie sich kombinieren und selbständig neue Informationen generieren. Ziel ist es, auf diese Weise Krankheiten besser zu erforschen, zu beseitigen und die Lebensdauer des menschlichen Körpers auf ein Mehrfaches zu erhöhen – und wenn irgend möglich, den Tod zu besiegen.
„Human Enhancement“ und „Transhumanismus“ sind die Fachbegriffe, unter denen nicht nur Google versucht, die Grenzen des Menschseins zu verschieben und einen „besseren Menschen“ zu kreieren.
Die BRAIN Initiative, die vom US Präsidenten Barack Obama ins Leben gerufen wurde, forscht an der Verbesserung des Gehirns. Die damit befassten US-Wissenschaftler wollen in den nächsten Jahren wie mit einer Lupe auf die neuronale Ebene des Gehirns zoomen, um jeder Nervenzelle in Echtzeit bei der Arbeit zuzusehen. Sie wollen verstehen, wie das Gehirn arbeitet, wie Bewusstsein entsteht und wie Krankheiten das Zusammenspiel der Neuronen verändern.
Ausgelegt ist die BRAIN Initiative auf 10 bis 15 Jahre. Die Finanzierung dafür wurde ab 2014 bereit gestellt. Im Gespräch ist eine Fördersumme von etwa 110 Millionen Dollar für jedes Forschungsjahr. Finanzielle Unterstützung kommt von den Nationalen Gesundheitsinstituten (NIH), der nationalen Wissenschaftsstiftung, dem Verteidigungsministerium und privaten Stiftungen der USA. Dass das Verteidigungsministerium (finanzielles) Interesse an dieser Forschung zeigt, lässt aufhorchen!
Aufhorchen lässt zudem, das Nick Bostrom, die Brain Initiative in Fragen der Bioethik berät. Nick Bostrom ist Mitbegründer der Transhumanistischen Bewegung in den USA.
Der Transhumanismus ist eine Art Techno-Philosophie, die sich v.a. unter nicht religiösen US Bürgern/innen wachsender Beliebtheit erfreut. Auch und grade innerhalb der intellektuellen und wirtschaftlichen Elite des Landes nehmen die Anerkennung und die aktive Verbreitung des Transhumanismus stark zu. Eine Vielzahl technologischer Vordenker und Experten wie Peter Thiel, Peter Diamandis, Max More, Eric Drexler, Marvin Minsky und natürlich Ray Kurzweil zählen zu seinen Unterstützern.
Nun nehmen sie Kurs auf die Politik ihres Landes. Aus diesem Kreis führender Ingenieure, Wissenschaftler und Philosophen stammt auch Zoltan Istvan, Vorsitzender der neuen Transhumanistischen Partei und Präsidentschaftskandidat für 2016 sowie Autor des Science-Fiction-Romans „The Transhumanist Wager“.
Die Transhumanismus-Bewegung hat sich der Anwendung neuer und künftiger Technologien verschrieben; etwa der Nanotechnologie, der Biotechnologie, der Gentechnik und der regenerativen Medizin. Sie träumt von Gehirn-Computer-Schnittstellen, etwa das Hochladen des mensch- lichen Bewusstseins in digitale Speicher oder die Entwicklung von Superintelligenz.
Moderne Technologien sollen es jedem Menschen ermöglichen, seine Lebensqualität nach Wunsch zu verbessern, sein Aussehen sowie seine physikalischen und seelischen Möglichkeiten selbst zu bestimmen.
Insofern spielt die Eugenik im Transhumanismus eine zentrale Rolle. Durch Sterilisation oder Abtreibung die Geburt eines kranken oder behinderten Menschen zu verhindern, gilt in diesen Kreisen aber als „Old School“. Künftig soll vielmehr durch Genmanipulation für die Geburt eines gesunden, optimierten Kindes gesorgt werden. Die menschliche Evolution soll letztlich vom Menschen selbst und seinen persönlichen Zielen gesteuert werden. Diese Art der „Menschenzüchtung“ wollen Transhumanisten jedoch nicht in staatlicher Hand liegen sehen (wie etwa von der nationalsozialistischen Eugenik angestrebt), sondern in die Hände der jeweiligen Eltern legen. Die Rede vom Wunschkind erhält eine neue Dimension!
Soweit die Aussichten auf den Cyborg von morgen.
Cyborg? Nie gehört? Diese Bezeichnung wird uns bald geläufig sein. Sie ist eine Abkürzung von „cybernetic organism“ und beschreibt eine informations-, gen- und/oder biotechnische Rekonstruktion des Menschen, um Krankheiten zu heilen, Leben zu verlängern oder ihn besser an eine neue Umwelt – oder die Bedingungen des Kapitalismus (?) – anzupassen.
Zukunftsmusik – oder sind wir bereits auf dem Weg dorthin? Ein inzwischen weit verbreitetes Element des Cyborgs sind organische Transplantate. Nieren, Herzen, Netzhäute etc. verbessern menschliche Körper, die sich ihrer Umwelt gar nicht mehr oder nicht mehr optimal gewachsen sehen. Meist stammen die neuen Organe von anderen Menschen, manche Ersatzteile aber auch von Tieren (Herzklappen zum Beispiel).
Geht es hier um Hilfsbereitschaft und Heilen oder wird der kranke Körper als Versuchsfeld genutzt: zum Test der Verträglichkeit von Fremdgewebe und von Immunsuppressiva? Wozu dient das Wissen, das in der Transplantationsmedizin gesammelt wird? Realisiert sich darin das humanitäre Bedürfnis zu helfen oder Forschungsetappen auf dem Weg zum Cyborg?
Aber nicht nur mit menschlichen Organen werden Kranke fit fürs weitere Leben gemacht, sondern auch mit technischen Implantaten. Klassisches Beispiel dafür sind Zahnersatz und Prothesen. Inzwischen hat die Technik letztere so weit perfektioniert, dass sie mit den Knochen verwachsen können3. Im Fall des „Cochlea Implantats“4 gibt es sogar eine Verbindung von elektrischen Leitern mit den menschlichen Nervenfasern. Andere Implantate unterstützen motorische Schwächen, der Herzschrittmacher ist der vielleicht bekannteste unter ihnen.
Dass elektrische Netze als Ausweitung des zentralen Nervensystems, vielleicht als neue Körperorgane gesehen werden können, ist wohl nicht bloße Spekulation. Es wurde bereits ein Gerät entwickelt, die Biomuse, das als Verbindungsglied zwischen Computer und elektrischen Signalen eines menschlichen Körpers dient. Damit kann z.B. ein Mensch, der selbst nicht sprechen kann, durch Muskelanspannung oder Augenbewegung auf einem Monitor Worte sichtbar machen und so mit anderen kommunizieren.5
Erstaunlich auch, dass mit genetisch programmierten Bakterien organische dünne Schichten als Biosensoren das Innere des Körpers erforschen sollen und winzige implantierte Pharmapumpen steuern, die dann ein künstliches und vor allem kontrollierbares Immunsystem bilden.6
Der Cyborg ist unter uns!
Ohne Zweifel verhilft er Menschen mit Handicaps zu einem besseren Leben, zu verbesserter Integration in die Gesellschaft und Anpassung an seine Mitmenschen; er verlängert Leben bei Organschwäche und ist ständig präsent mit technischen Neuerungen und pharmazeutischen Heilsversprechen.
Im Zeitalter der Gen- und Computertechnologien werden die Grenzen zwischen Mensch, Tier und Maschine zersetzt. Wir verwandeln uns fast unmerklich in Cyborgs, in Mensch-Maschine-Monster mit Schnittstellen zu allen möglichen technischen Geräten und Systemen.
Warum nicht, denken Sie vielleicht!? Immerhin verhilft die Technik manchen Menschen zu vermehrter Anpassung oder überhaupt zum Weiterleben.
Medizintechnik lässt sich nicht ablehnen. Zu viele Menschen setzen ihre Hoffnung darauf!
Nicht erwähnt habe ich bisher die militärische Nutzung der Cyborisierung, die sich Hand in Hand mit der medizinischen entwickelt. Sie ist ein wesentlicher Gesichtspunkt, kritisch auf die Fortschritte dieser Technikrichtung zu blicken.
Wesentlicher erscheint mir noch die soziale Dimension, die neue Fragen des Zusammenlebens und der sozialen Sicherung Schwacher aufwirft.
Wenn Eltern den genetischen Cocktail für ihren Nachwuchs selbst mixen können, steigt der Erwartungsdruck auf dieses Wunschkind enorm. Heute schon versuchen Eltern in bislang ungekanntem Maß Ihre Sprösslinge zu fördern und oft zu überfordern: Englisch im Kindergarten, musikalische Frühförderung und so weiter und so fort. Denn diese Kinder sollen den Anforderungen unserer Leistungsgesellschaft gerecht werden!
Wie gestaltet sich das Zusammenleben zwischen Eltern und Kindern, wenn die genetische Grundlage teuer erkauft wurde, das Kind aber dennoch kein Superhirn hat? Werden Eltern dann Schadensersatz einklagen oder das Kind irgendwo reklamieren und abgeben können?
Wenn Gesundheit und Leistungsfähigkeit zur Ware wird, wird vieles denkbar!
Ein Kind mit Behinderung findet schon heute wenig Akzeptanz. Rund 3600 Ungeborene wurden im Jahr 2014 nach entsprechender pränataler Diagnostik wegen evt. Handicaps abgetrieben.
Die Maßstäbe für Menschsein setzt schon lange nicht mehr eine Ethik, sondern die kapitalistische Marktwirtschaft und Leistungsgesellschaft.
Wird diese langfristig Menschen dulden und vor allem sozial absichern, wenn sie nicht selbst alles dafür taten, ihre Gesundheit und Leistungsfähigkeit zu verbessern? Oder wenn sie trotz allem in der Gesellschaft scheitern?
Die Antwort darauf ist kein Rätsel!
Wir beobachten heute schon den gesellschaftlichen Trend zur individualisierten Gesundheitsvorsorge und Verbesserung von Leistungsfähigkeit und Aussehen: Nahrungsergänzungsmittel, Medikamente zur Steigerung von Leistungsfähigkeit, Fitnessangebote, Schönheitschirurgie … alles ist am Markt. Wer nicht zugreift, ist selbst schuld, wenn er abgehängt wird!
Eine ungebremste Cyborgisierung der Menschen oder ein transhumanistisches Parteiprogramm wird diesen Trend unbarmherzig fortschreiben.

Literatur

1

Google will sogar das Altern des Menschen stoppen

2

Kurzweil, Ray, Homo s@piens. Leben im 21. Jahrhundert – was bleibt vom Menschen? München 2000

3

Bild der Wissenschaft 9, 1994, 24 ff

4

Colchlea Implantat: eine Art Radio, das im Fall einer bestimmten Taubheit in die Ohrschnecke eingebaut wird Ein Mikrophon erfasst akustische Daten aus der Außenwelt , durch Radiowellen werden diese Informationen an den im Kopf eingepflanzten Empfänger übermittelt, der sie in elektrische Impulse verwandelt und den Hörnerv reizt (Oeken u.a., 1993, 281 f)

5

Lusted, Hugh / Knapp, Benjamin, Computersteuerung mit Nervenimpulsen, in: Spektrum der Wissenschaft 12 / 1996, S.72 ff

6

Bertrand, Ute, Allheilmittel Information. Gen- und Informationstechnologien sollen das Gesundheitsmanagement optimieren. In: Wechselwirkung, Nr.62, 1993, S 9 ff

 

 


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