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G20-Gipfel in Hamburg - Der Kampf um die Bilder und die Köpfe -

…hatte schon die Tage in Hamburg geprägt und ist nunmehr in allen Medien und vielen privaten Diskussionen voll entbrannt. Es geht um die Deutungshoheit der Ereignisse. Da kann ein einziger Artikel nur wenig zur Aufklärung beitragen. Dennoch ein Versuch.

Wir hatten vom 2.-8. Juli

  • rundum gelungene Proteste, sowohl auf der Straße wie im Saal
  • eine aberwitzig aggressive, jenseits aller rechtlichen Standards agierende Polizei und politische Führung
  • kreative, mutige, kontinuierliche Gegenwehr mit breiter Unterstützung aus der Hamburger Bevölkerung
  • einen offiziellen Gipfel, der seine Sinnlosigkeit beeindruckend unter Beweis stellte
  • ach ja, und auch einen Riot im Schanzenviertel.

Proteste

  • Auf dem „Gipfel für globale Solidarität“ am 5./6. Juli auf Kampnagel und vielerorts in Hamburg haben sich 2000 Menschen versammelt, doppelt soviel wie erwartet. Die Suche nach Alternativen ist vielen ein Anliegen; sie wollen Kritik an den Zuständen vertiefen, Alternativen für ein gutes Leben für alle austauschen, Strategien zur Umsetzung beraten und sich vernetzen. Die elf Podien und 75 Workshops waren allesamt gut besucht, es wurde lebhaft diskutiert, wir hatten ein breite Berichterstattung in den Medien. Ein hochkarätig besetztes Podium und mehrere Workshops widmeten sich der Problematik von Krieg und Frieden.
  • Am „Block G20“ am 7.Juli haben sich mindestens 5000 AktivistInnen beteiligt. Delegationen mussten umkehren, Trump kam zu spät, Frau Trump konnte gar nicht aus dem Haus, Termine am Rand des Gipfels wurden abgesagt, im Hamburger Hafen lagen zeitweise die Abläufe still. Der nachmittägliche Versuch von 15 000 Menschen, die Elbphilamornie als Ort des G20-Abendspektakels zu blockieren, führte zu großer Verspätung beim Konzertbeginn und dazu, dass die Polizei die gesamte Innenstadt zweiteilte. Von Ost nach West gab es kein Durchkommen, stundenlang war für niemanden der Hauptbahnhof erreichbar.
  • Am 8.Juli haben auf der internationalen Großdemonstration „Grenzenlose Solidarität statt G20“ 76 000 Menschen der G20-Inszenierung sichtbar ein „No G20“ entgegengesetzt. AktivistInnen aus Gewerkschaften, Umwelt-, Friedens-, Antirassismus- und Flüchtlingsbewegung haben zusammen mit radikalen und gemäßigten Linken laut, bunt und entschlossen gezeigt, dass wir uns das Demonstrationsrecht nicht nehmen lassen.

Polizei

Es gibt inzwischen zahllose Berichte über die Brutalität und völlige Unangemessenheit des Polizeieinsatzes in Hamburg. Wäre es nur das, wäre es nichts Besonderes, sondern leider allzu oft der Standard. Das Versammlungsrecht gilt denen, die es schützen sollten, nicht viel in Deutschland. Aber in Hamburg ging es um mehr. Das Komitee für Grundrechte und Demokratie fasst zusammen: „Wir haben beobachtet, in welchem Maße die Polizei in diesen Tagen die Macht über das Geschehen in der Stadt übernommen hat. Sie hat eskaliert, Bürger- und Menschenrechte ignoriert, sie informierte die Öffentlichkeit falsch und ging mit großer Gewalt gegen die Menschen vor. Schon seit Monaten warnen wir vor dem Ausnahmezustand, der anlässlich des G20 in Hamburg produziert wird. Das, was wir in dieser Woche vorgefunden haben, geht sogar über das, was wir befürchtet haben, noch hinaus. Nicht nur wurden die Grund- und Menschenrechte auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit durch die Allgemeinverfügung außer Kraft gesetzt. Die Polizei hat, gedeckt von der Hamburgischen Regierung und vermutlich auch im Sinne der Interessen der/des Innminister/-senators und der Sicherheitsbehörden, den Ausnahmezustand geprobt.“

Kreative, solidarische Gegenwehr

Über Wochen war der politische und juristische Kampf um Camps als Ort der Ruhe, zum Schlafen, zur Versorgung geführt worden. Das Verfassungsgericht hatte geurteilt, dass Camps als Versammlungen rechtlich möglich sind. Die Hamburger Innenbehörde und die Polizeiführung interessierte das nicht. Sie ließen nichts zu, räumten Campversuche und symbolische Solidarisierungen mit großer Brutalität und erreichten genau das Gegenteil. Nach zwei Tagen intensiver Debatte und Berichterstattung verstand niemand in der Stadt mehr, warum AktivistInnen zwar protestieren, aber nicht essen, schlafen, sich waschen dürfen. Die HamburgerInnen machten ihre Türen auf. Camps entstanden auf Kirchengelände, im städtischen Schauspielhaus, im St-Pauli-Stadion…Dutzende kreative Aktionen wurden von Gruppen und Individuen aus Hamburg geplant und gemacht. Transparente hingen aus vielen Fenstern. Nachbarschaftsvereine stellten Büro- und Versammlungsräume zur Verfügung.

Sinnloser Gipfel

Das Strukturproblem solcher Gremien wie der G20 wurde in diesem Jahr besonders deutlich. Die Gruppe hat ihren Daseinsgrund darin, dass dort die gemeinsamen Bedingungen und Regelungen des globalen Kapitalismus ausgehandelt werden. Als einzelne Länder aber stehen die Mitglieder in Konkurrenz um das größte Stück vom Kuchen. Da die Weltwirtschaft nur noch mäßig wächst, verschärfen sich die Widersprüche.

Die Abschlusserklärung steht für ein Weiter-so des neoliberalen Globalisierungsmodells, für mehr Freihandel, private Infrastrukturinvestitionen, private Investitionen statt öffentlicher Entwicklungsfinanzierung, keine Entwaffnung des Finanzsektors. In der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen wurden Beschlüsse zur Gesundheitspolitik, Ernährungssicherung und Wasserbewirtschaftung, die, wenn sie umgesetzt werden, die Zahl der Opfer einer seit Jahrzehnten völlig falschen Politik in diesen Themenfeldern in die Höhe treiben werden.

Das Weiter-so ist aus der Binnensicht vielleicht sogar ein Erfolg, bedeutet es doch, dass es bei ökonomischen Kernfragen keinen offenen Bruch zwischen Neoliberalen à la Merkel und der national-neoliberalen Fraktion à la Trump gab. Bei dem handelspolitischen Konflikt zwischen Freihandelsorientierung und protektionistischen Maßnahmen (insbesondere im Stahlsektor) hat man sich vorerst auf ein Stillhalteabkommen geeinigt.

Viele dieser Konflikte können aber jederzeit wieder aufbrechen. Einer der zentralsten Punkte, die Exportüberschussstrategie der Bundesrepublik und Chinas, wurde gar nicht erst angepackt. Dabei ist es dieser Bereich, der in Trumps handelspolitischen Aussagen immer im Mittelpunkt steht. Was er „unfair“ nennt, hat hier seinen Kern. Wenn er China angreift, dann meint er immer auch Deutschland. Dessen Exporte haben sich nicht zuletzt wegen des Abwürgens vieler Ökonomien der Eurozone durch das unsägliche Krisenmanagement der Europäischen Union zuletzt immer stärker in Länder außerhalb der EU verschoben. Viele Schwellenländer sind selbst mehr oder weniger in der Krise und die USA wollen die Rolle des Käufers der letzten Instanz nicht mehr spielen. Damit gerät das deutsche Exportmodell unter Druck, und zwar umso mehr, als es ja auch der gesamten EU oder zumindest der Eurozone übergestülpt werden soll.

Das neoliberale Projekt steckt offenkundig in einer Hegemoniekrise, denn die Konflikte nehmen zu und es ist nicht mehr eindeutig an einen staatlichen Hegemon (die USA) geknüpft. Die USA haben keine „Führungsrolle“ mehr, nicht einmal immer innerhalb des „Westens“, viel weniger global. Russland agiert auch militärisch selbstständig, China macht ebenfalls tastende Schritte, Iran ist nicht zu isolieren. In allen wichtigen Kriegen sind G20-Staaten beteiligt, in mehreren stehen sie einander auch feindlich gegenüber.

Auf der Ebene der Gipfelregie hat das Kanzleramt durchaus geschickt agiert beziehungsweise kann das Ergebnis als relativen Erfolg verbuchen. Es wurde nicht nur ein offener Konflikt um Freihandel vermieden, sondern mit der propagandistisch geschickten Platzierung von JEFTA im Vorfeld des Gipfels ein neuer Schritt in die falsche Richtung angekündigt. Und es gelang, die US-Regierung in der Klimafrage zu isolieren und das Paris-Abkommen zu bestätigen. Auch die Ankündigung Erdogans, das Abkommen nun doch nicht unmittelbar zu ratifizieren, dürfte kaum einen Austritt aus dem Prozess bedeuten, sondern zielt wohl darauf ab, günstigere Bedingungen für die Türkei auszuhandeln; sie will diesbezüglich als „Entwicklungsland“ eingestuft werden, was ihr größere Wachstums- und Emissionsraten erlauben würde. Auch hier gehen die G20-Kompromisse direkt zulasten der Umwelt.

Riot

Manche eineR wird sich jetzt fragen, warum ich bisher nichts über das geschrieben habe, worüber alle in den Tagen nach dem Gipfel schrieben, über die Gewaltbilder aus de Schanzenviertel. Der wichtigste Grund dafür ist, dass die Wahrnehmung in Hamburg selbst dem entsprach, wie ich es hier darstelle. Protest, Polizei, Solidarität der Bevölkerung, sinnloses Gerede der Staatschefs waren überall präsent. Die Gewaltbilder beschränkten sich auf eine ganz kleine Fläche. In Altona brannten am Freitag Morgen Autos, während stadtweit, aber eben nicht in Altona, Blockaden stattfanden und Delegationen ihr Ziel nicht erreichten. Und in der Nacht auf Samstag gab es im Schanzenviertel einen Riot, wie ihn Deutschland noch nicht erlebt hatte. Geschäfte von Ladenketten wurden aufgebrochen und geplündert, Barrikaden errichtet und angezündet, Banken entglast, während sich die Polizei stundenlang völlig zurückhielt.

Ich will hier nichts beschönigen, diese Bilder, diese Abläufe haben nicht nur wir nicht gewollt, auch unsere linksradikalen Bündnispartner in Hamburg hatten sich die Abläufe völlig anders vorgestellt. Das Auftreten der „Welcome to Hell“-Demo am 6.7. abends war erkennbar nicht auf Eskalation angelegt, dennoch wurde sie gewaltsam aufgelöst, sammelte sich aber wieder und fand mit zweistündiger Verspätung statt.

Auch wer sich die Abläufe in der Schanze selbst genauer angeschaut hat, stufte die Dimension sofort ein wenig herunter. Während des Riots blieben die Straßenlokale besetzt, Schaulustige feuerten die TäterInnen an, betrunkene BesucherInnen machten Selfies vor brennenden Barrikaden und AnwohnerInnen merkten , dass die Güter in den aufgebrochenen Läden ihren Waren-, also Eigentumsstatus verloren hatten, und trugen sie nach Hause.

Das alles macht an den Ereignissen nichts besser, es zeigt aber, dass solche Riots mehr zum Ausbruch bringen als nur sinnlose Gewalt und Zerstörungswut.Der Frust eines mühseligen und scheinbar unveränderbaren Alltags, die regelmäßige Erfahrung der Machtlosigkeit angesichts verhärteter Machtstrukturen, die tagtägliche sinnlose Orientierung auf Konsum von was auch immer und sicherlich auch irgenwie um die Ecke gedachte politische Motive vermengen sich zu etwas, das nicht nur in der Schanze explodieren kann.

 


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