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Stephan Lindner: Internationales Netzwerk zur Verschuldung gegründet

Ein neues Netzwerk will die Mitglieder dabei unterstützen, in ihren Ländern die Diskussion über Ursachen der Staatsverschuldung, über deren Verlierer und Nutznießer, voranzutreiben. Am Wochenende nahm es die Arbeit auf.

Die Politik reagiert auf die Schuldenkrise in Südeuropa mit Sparprogrammen und Schuldenbremse. Die gebeutelten Länder hätten zu lange über ihre Verhältnisse gelebt. Das sei der Grund für die Malaise, heißt es. In vielen Ecken Europas haben sich in den vergangenen Monaten jedoch Initiativen gegründet, die dieser Erklärung nicht folgen. Sie wollen in ihren Ländern genau untersuchen, wo die immensen Staatsschulden herkommen und in wessen Interesse sie aufgenommen wurden. Ziel eines solchen "Schuldenaudits" ist die Streichung der Schulden, die illegal, illegitim, verwerflich oder einfach nicht mehr tragfähig sind.

Nun haben Aktivisten aus zwölf europäischen und arabischen Ländern ein internationales Netzwerk zum Thema Schulden gegründet. Das Treffen in Brüssel, an dem am Wochenende 60 Menschen teilnahmen, war von dem weltweiten Netzwerk CADTM Belgien organisiert worden, das bisher vor allem zur Verschuldung der Länder des globalen Südens gearbeitet hat. Aus Deutschland waren Attac und die Rosa Luxemburg Stiftung dabei. Andere Länder waren mit einem wesentlich breiteren politischen Spektrum vertreten, das etwa auch die Indignados- bzw. Occupy-Bewegung und Bürgerinitiativen für Schuldenaudits einschloss. So arbeiten beispielsweise in Frankreich mittlerweile in über 100 Städten lokale Komitees zur Verschuldung ihrer Stadt.

Vorbild für das Verfahren ist Ecuador, wo die linke Regierung nach ihrer Wahl 2008 die übernommenen Schulden evaluierte und 80 Prozent als illegitim bewertete. Auch in Irland gibt es erste Erfahrungen. So haben die Iren bereits ein "Mini-Audit" ihrer Staatsschulden durchgeführt. Das Ergebnis wurde im Internet in einer kleinen Broschüre veröffentlicht. In Frankreich und Belgien sind Referenden über ein Schulden- und Zinszahlungsmoratorium in der Diskussion.

Die Teilnehmer aus Griechenland verdeutlichten, wie sehr die bisherigen "Entschuldungsmaßnahmen" die Krise in ihrem Land zugespitzt haben. Immer mehr Menschen verlieren ihren Krankenversicherungsschutz, das Gesundheitssystem kollabiere, so dass die Krise für immer mehr Menschen tödlich endet. Auch für die Menschen in Tunesien und Ägypten hat sich durch die Revolutionen bisher kaum etwas verbessert, berichteten Vertreter in Brüssel. Sie kritisierten die neoliberale Politik der EU gegenüber ihren Ländern.

Die Aktivisten vereinbarten in Brüssel einen europaweiten Aktionstag im Oktober gegen Austeritätspolitik und für Solidarität mit den Menschen in Griechenland. Das hatte das griechische Schuldenkomittee vorgeschlagen. Dazu soll in den nächsten Tagen ein Aufruf ausgearbeitet werden, der bei dem nächsten Vernetzungstreffen in Frankfurt am Main verabschiedet werden soll. Das Treffen soll am Rande der Krisenaktionstage zwischen dem 16. und 19. Mai stattfinden, zu denen soziale Bewegungen, Gewerkschafter und die Linkspartei in die deutsche Finanzmetropole mobilisieren. Auch Aktivsten aus dem Ausland wollen sich beteiligen. In dem Aufruf soll neben dem Herbst-Aktionstag auch das bevorstehende Referendum zum Fiskalpakt in Irland thematisiert werden, bei dem die in Brüssel versammelten Aktivisten das Nein-Lager unterstützen.

Aus Zeitnot gegen Ende des Treffens hat das "Kind" noch keinen Namen. Der soll nun per Mail gefunden werden. Mit passendem Namen soll die Initiative zur Bewertung der öffentlichen Schulden dann auch im Netz mit eigener Seite bekannt gemacht werden.

Stephan Lindner ist Mitglied des Koordinierungskreises von Attac und nahm als Vertreter von Attac Deutschland an dem Treffen teil. Der Artikel erschien am 10. April 2012 in der Tageszeitung Neues Deutschland.