Verklagen Sie auch uns!
53 Mitglieder des Wissenschaftlichen Beirats von Attac haben einen Offenen Brief an Klaus Zimmermann, Direktor des Instituts zur Zukunft der Arbeit (IZA) in Bonn geschrieben. Die Unterzeichnenden fordern Zimmermann auf, sie ebenfalls zu verklagen, sollte er seine Klage gegen Werner Rügemer und die Neue Rheinische Zeitung vor der Pressekammer des Landgerichts Hamburg aufrecht erhalten.
Rügemer hatte das IZA wegen seiner Lobby-Tätigkeit kritisiert und die für ein wissenschaftliches Institut gebotene Unabhängigkeit in Frage gestellt. Der Artikel "Die unterwanderte Demokratie" von Werner Rügemer erschien im August 2013 in den "Blättern für deutsche und internationale Politik". Auf der Webseite des Magazins steht aktuell eine um die strittigen Passagen gekürzte Version des Artikels.
Weitere Erläuterungen zu dem Fall sind einem Beitrag Werner Rügemers
auf dem Weblog "Nachdenkseiten" zu entnehmen.
Nachfolgend dokumentieren wir den Offenen Brief und die Liste der unterzeichnenden Wissenschaftler_innen.
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Offener Brief des Wissenschaftlichen Beirats von Attac
16.05.2014
Sehr geehrter Herr Professor Zimmermann,
Sie haben Werner Rügemer auf Unterlassung von Behauptungen verklagt, die sorgfältig recherchiert und sachgerecht interpretiert worden sind und Ihnen offenbar nicht passen, weil der Autor die "Unabhängigkeit" des Instituts Zukunft der Arbeit, dessen geschäftsführender Direktor Sie sind, und die Seriosität der wissenschaftlichen Arbeit des Instituts in Frage stellt und seine Tätigkeit als eine neue Form des Lobbyismus darstellt. Das alles wird in Werner Rügemers Darstellung wohlbegründet und es werden einige Konsequenzen für die Wissenschaft und für die Demokratie aufgezeigt.
Wir teilen Werner Rügemers Darlegungen und sind gern bereit, dies in der Öffentlichkeit zu bezeugen. Ziehen Sie ihre Klage gegen Werner Rügemer zurück oder verklagen Sie auch uns, wenn Ihnen die wissenschaftlichen Argumente fehlen und Sie eine Auseinandersetzung im Terrain der Paragraphen erzwingen wollen.
Sie sind Professor und somit als jemand, der etwas zu "bekennen" hat, eigentlich der Wahrheit verpflichtet. Diese Moral bindet Sie nicht. Man kann über wissenschaftlich begründete Aussagen streiten; aber bitte in wissenschaftlichen Diskursen und nicht vor Gericht. Es geht Ihnen offenbar nicht um den wissenschaftlichen Streit über – in diesem Fall – die Folgen neoliberaler Politikempfehlungen für Arbeitsplätze und Lebensbedingungen vor allem jener Menschen, die von ihrer Arbeit leben, für die Einkommens- und Vermögensverteilung in den Ländern der EU oder über die fatale Rolle, die mit viel Geld ausgestattete Institute in der Politikberatung spielen. Es geht Ihnen um Rechthaberei. Sie wollen sich durch ein Gericht und nicht etwa durch argumentative Überzeugung und möglicherweise auch durch Peers wie es im Wissenschaftssystem üblich ist, Ihre einer bestimmten Tendenz verpflichtete Sicht der Dinge bestätigen lassen und Kritik daran unterbinden.
Das geht an den Kern der Wissenschafts- und Meinungsfreiheit, das verhindert die Offenheit im wissenschaftlichen Erkenntnisprozess, das ist die Durchsetzung einer arbeitgeber- und unternehmerfreundlichen Tendenz im neutralen Gewand angeblich unabhängiger wissenschaftlicher Forschung, das ist die Absage an den Pluralismus in Forschung und Lehre, das planiert das Terrain für die Durchsetzung von Kapitalinteressen.
Werner Rügemer hat dies im Einvernehmen mit vielen anderen, die sich mit der Schnittstelle zwischen Kapitalinteressen und Wissenschaft befassen, als "indirektes lobbying" bzw. als "deep lobbying" bezeichnet, das inzwischen verbreitete Praxis ist, so dass es schon zu spät ist, um den Anfängen noch wehren zu können. Daher sind wir umso mehr verpflichtet, wenigstens den schlimmsten Auswüchsen entgegenzutreten.
Wir haben uns spontan nach Bekanntwerden Ihrer Klage und des Ergebnisses des ersten Gerichtstermins vom 9. Mai 2014 vor dem Landgericht Hamburg der Aufforderung an Sie, Herr Zimmermann, angeschlossen, uns, die Unterzeichnenden, ebenfalls zu verklagen, wenn Sie die Klage gegen Werner Rügemer aufrecht erhalten.
Mit freundlichen Grüßen
Unterzeichnerinnen und Unterzeichner (im Zeitraum vom 11. bis 15.5. 2014)
1. Prof. Dr. Elmar Altvater, Berlin
2. Dr. Günter Berg, Berlin
3. Prof. Dr. Armin Bernhard, Duisburg-Essen
4. Prof. Dr. Hans-Jürgen Bieling, Tübingen
5. Prof. Dr. Ulrich Brand, Wien
6. Prof. Dr. Claudia von Braunmühl, Berlin
7. Dr. Achim Brunnengräber, Berlin
8. Prof. Dr. Christoph Butterwegge, Köln
9. Dr. Christian Christen, Berlin
10. Prof. Dr. Alex Demirovic, Frankfurt a. M. und Basel
11. Prof. Dr. Klaus Dörre, Jena
12. Prof. Dr. Ulrich Duchrow, Heidelberg
13. Prof. Dr. Heide Gerstenberger, Bremen
14. Prof. Dr. Peter Grottian, Berlin
15. Prof. Dr. Andreas Fisahn, Bielefeld
16. Prof. Dr. Frigga Haug, La Palma
17. Prof. Dr. Wolf Fritz Haug, La Palma
18. Prof. Dr. Clemens Knobloch, Siegen
19. Dr. Lydia Krüger, Berlin
20. Prof. Dr. Michael Hartmann, Darmstadt
21. Prof. Dr. Peter Herrmann, Rom
22. Dr. Harald Klimenta, Regensburg
23. Prof. Dr. Hans Jürgen Krysmanski, Münster
24. Prof. Dr. Stephan Lessenich, Jena
25. Prof. Dr. Ingrid Lohmann, Hamburg
26. Prof. Dr. Birgit Mahnkopf, Berlin
27. Prof. Dr. Klaus Meschkat, Hannover
28. Prof. Dr. Mohssen Massarrat, Berlin
29. Prof. Dr. Lutz Mez, Berlin
30. Dr. Wolfgang Neef, Berlin
31. Dr. Silke Ötsch, Innsbruck
32. Tobias Pflüger, Tübingen
33. PD Dr. Ralf Ptak, Köln
34. Dr. Oliver Pye, Bonn
35. apl. Prof. Dr. Niko Paech, Oldenburg
36. Prof. Dr. Urs Müller-Plantenberg, Berlin
37. Prof. Dr. Rainer Rilling, Marburg
38. Prof. Dr. Roland Roth, Magdeburg
39. Dr. Thomas Sablowski, Berlin
40. Prof. Dr. Thomas Sauer, Jena
41. Prof. Dr. Christoph Scherrer, Kassel
42. Prof. Dr. Jürgen Schutte, Berlin
43. Gerd Siebecke, Hamburg
44. Eric Sons, Hamburg
45. Prof. Dr. Gerd Steffens, Wedel
46. Dr. Fritz Storim, Bremen
47. Peter Strotmann, Berlin
48. PD Dr. Heike Walk, Berlin
49. Professor Dr. Isidor Wallimann, Hamburg
50. Prof. Dr. Christa Wichterich, Kassel
51. Prof. Dr. Frieder Otto Wolf, Berlin
52. Dr. Winfried Wolf, Berlin
53. Prof. Dr. Beate Zimpelmann, Bremen