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Den Handelshebel umlegen!

Helga Reimund, 62, war Architektin, arbeitet seit einigen Jahren als Heilpraktikerin für Psychotherapie und lebt in Berlin. Bei Attac ist sie vor allem zu Handelsthemen engagiert; wir haben mit ihr darüber gesprochen, warum.

Helga, du bist seit Ende 2014 bei Attac. Wie ist es dazu gekommen?
Ich bin damals in einem Artikel im „Freitag“ auf das Thema Freihandelsabkommen gestoßen und habe erst da verstanden, was diese neoliberale Globalisierung tatsächlich bedeutet und wie sie funktioniert – und vor allem was für eine katastrophale Rolle Freihandelsabkommen dabei spielen. Die Bedeutung von Handelspolitik war dann für mich der Anlass, mich politisch auf dem Gebiet zu engagieren.

Warum sind Freihandelsabkommen für dich ein Hebel, den man politisch umlegen muss?
An erster Stelle stehen da natürlich die Konzernsonderklagerechte, mit denen demokratische Politik verhindert werden kann. Wenn man Regelungen einführt, die Gewinnmöglichkeiten von Konzernen einschränken, können die anschließenden Klagen der Konzerne so teuer werden, dass Politiker*innen davor zurückschrecken, Regeln zum Schutz von Mensch, Umwelt oder Klima zu verabschieden. Alle Themen, die mir am Herzen liegen – Umwelt-, Klima-, Artenschutz, Menschenrechte, Demokratie, Rechte indigener Gemeinschaften, Verbraucher*innenschutz, Gesundheitsschutz – sind abhängig davon, dass die Freihandelspolitik geändert wird. Bisher walzt die falsche Handelspolitik, wie sie nicht nur die EU betreibt, alle positiven transformatorischen Ansätze einfach platt.

Welche Gefahren gehen konkret vom EU-Chile-Abkommen aus, gegen das du dich zurzeit engagierst?
Die Atacama-Wüste ist eins der trockensten Gebiete der Erde; dennoch wird dort massenhaft Grundwasser für den Lithiumabbau verschwendet, der durch das Abkommen noch intensiviert werden wird. In dem Gebiet leben die Atacameños, eine indigene Gemeinschaft. Sie sind jetzt schon durch den Grundwasserabfall kaum in der Lage, ihre Äcker und Gärten zu bestellen. Würde der Lithiumabbau wie geplant noch ausgebaut, verlören sie ihre Lebensgrundlage. Außerdem leben dort unterschiedliche Arten von Flamingos, deren Existenz durch das Abkommen gefährdet ist. Und das alles, weil wir angeblich stetig mehr Lithium brauchen, vor allem für Autobatterien. Letztlich ist es aber so, dass die Autoindustrie dieses Lithium braucht, weil sie damit die billigsten Batterien herstellen kann.

Aber brauchen wir diese Batterien nicht für E-Mobilität und Klimaschutz?
Da müssen zwei Punkte unterschieden werden. Der erste: Wir brauchen grundsätzlich eine Mobilitätswende – und das bedeutet nicht in erster Linie einen Umstieg von Verbrenner- zu Elektro-Motoren, sondern von Individualverkehr hin zu öffentlichem Verkehr. Dort müsste in großem Umfang investiert werden, statt weiterhin viel Geld in Autobahnen zu stecken. Der zweite Punkt ist: Es braucht eine Alternative zu Lithiumbatterien. Ein chinesischer Autohersteller produziert inzwischen das erste E-Auto mit Natriumbatterie in Serie. Es bleibt zu hoffen, dass Deutschland bald nachziehen wird, aber noch ist es für die deutschen Autokonzerne leichter, auf Lithium zurückzugreifen. Noch haben diese Batterien auch eine größere Reichweite und ein geringeres Gewicht, aber mit entsprechenden Investitionen in die Forschung würde sich das schnell ändern.

Ein weiterer Vorwurf der Kampagne richtet sich gegen den neokolonialen Charakter des Abkommens. Worin zeigt sich der?
In der Norm 169 der ILO (Internationale Arbeitsorganisation der UN) ist festgelegt, dass indigene Gemeinschaften freiwillig und informiert zustimmen müssen, bevor auf ihrem Land z.B. mit den dort vorhandenen Ressourcen etwas geschieht. Auch Chile hat diese Norm ratifiziert, aber für Lithiumabbau ist eine Abstimmung mit indigenen Gemeinschaften nicht vorgesehen. Damit schreibt sich die historische Plünderung indigener Rohstoffe fort. Außerdem ist in dem Abkommen festgehalten, dass das geförderte Lithium an chilenische Unternehmen nicht günstiger abgegeben werden darf als an EU-Unternehmen. So wird die Wettbewerbsfähigkeit der chilenischen Unternehmen verhindert. Wie bei jedem Wirtschaftsabkommen setzen sich die wirtschaftlich starken Staaten durch, die schwächeren haben das Nachsehen und werden in den primären Sektor gedrängt, wo Rohstoffe verkauft, aber nicht verarbeitet werden. Das führt zu einer geringeren Wertschöpfung, denn der Gewinn wird nicht hauptsächlich beim Verkauf, sondern bei der Verarbeitung gemacht.

Wie geht es mit dem Abkommen jetzt weiter?
Am 26. Januar hat sich der Handelsausschuss der EU leider erwartungsgemäß für die Ratifizierung des Abkommen ausgesprochen. Die Abstimmung des EU-Parlaments soll Ende Februar geschehen. Damit tritt der Handelsteil in Kraft. Um das komplette Abkommen in Kraft zu setzen, müssen dann noch alle 27 Mitgliedstaaten ratifizieren. Es wird leider nicht das letzte solche Abkommen sein. Wir bleiben dran, für eine gerechte Handelspolitik und hoffen, dass viele mitmachen. Handelsabkommen sind ein mächtiger politischer Hebel; schaffen wir es, ihn umzulegen, öffnet das den Weg für positive Veränderungen!