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Menschenrechte vor Unternehmensgewinnen

Diesen Oktober fanden parallel gleich zwei Verhandlungen über internationale Handelsbeziehungen abgehalten: In Genf wurde beim sogenannten „Binding Treaty“ über völkerrechtliche Maßnahmen verhandelt, die (internationale) Unternehmen bei Menschenrechtsverletzungen zur Verantwortung ziehen sollen.

Im Gegensatz dazu fanden in Wien gleichzeitig die Verhandlungen über das geplante Multilaterale Investitionsgericht (MIC – eine  Weiterentwicklung des Investor-Staat-Schiedsverfahren/ISDS) statt, bei dem Konzerne Staaten im Falle von Gewinnverlusten verklagen können.

Unterschiedlicher könnten die zwei Veranstaltungen nicht sein: Dem Schutz der Menschenrechte stehen Investitionsinteressen der Konzerne gegenüber.

Unser Bündnis machte auf diesen Widerspruch mit einer Aktions-Tour im Rahmen der europaweiten Aktionswoche „Rights for People, Rules for Corporations – STOP ISDS“ aufmerksam. Wir starteten in Genf und folgten symbolisch der Route der notwendigen und wichtigen Verhandlungen über Klagerechte für Menschen in Genf zu den sinnlosen und überflüssigen Verhandlungen über Konzernklagerechte in Wien.

Tourplan

Sonnabend 12.10.
Frankfurt am Main | 11:00 | Zeil vor MyZeil | Karte

Sonntag 13.10.
Genf | Vernetzung mit NGOs und Parlamentarier*innen

Montag 14.10.
Genf | 9:30 | UN-Plaza | Karte
St. Prex | 12:00 | vor der Vale-Zentrale | Karte
Basel | 19:00 | Marktplatz | Karte

Dienstag 15.10.
Zug | 11:00 | vor der Glencore-Zentrale | Karte
München | 18:30 | Wittelsbacher Platz vor Siemens | Karte

Mittwoch 16.10.
Innsbruch | 10:30 | Spitalskirche | Karte
Salzburg | 17:00 | Platzl | Karte | Facebook-Veranstaltung

Donnerstag 17.10.
Wien | 15:00 | Juridicum | Karte | Facebook-Veranstaltung

Galerie

 

 

Tagesberichte von der Tour

Treffpunkt war Frankfurt, Samstag, kurz vor 10. Der Aktionsbus war bereits voll bepackt und bevor wir losfuhren, ging es auf die Zeil, die große Frankfurter Einkaufsstraße und Fußgängerzone, die bei prächtigem Wetter zum Konsumieren einlud. Hier werden all die Produkte, die oft unter menschenunwürdigen Bedingungen am anderen Ende der Welt hergestellt werden, ins Schaufenster gestellt; hier wird die Warenwelt auf ihre glatte Oberfläche reduziert.

Mit unserer Aktion zum Aktionstag der europaweiten Kampagne "Rechte für Menschen, Regeln für Konzerne" haben wir deshalb in Erinnerung gerufen, was in deutschen Fußgängerzonen ansonsten ausgeklammert bleibt. Aus 16 großen Kartons haben wir eine Wand mit dem Schriftzug "Konzernmacht" und Fotos von den Produktions-Tatorten dieser Welt aufgebaut – vom zerstörten Rana-Plaza-Fabrikgebäude, den verstümmelten Opfern und ihren verzweifelten Angehörigen und vom verkohlten Regenwald. "Billigproduktion tötet" war das Thema unserer Flyer speziell zum Textilbereich; und um das zu veranschaulichen, verkleideten sich zwei von uns als Opfer, die gerade von einem Stahlträger durchbohrt wurden.

Bericht in FR über Auftaktveranstaltung auf der Zeil

Samstag, 12., bis Montag, 4. Oktober 2019: Genf ...

Nach der Aktion auf der Zeil ging es also nun nach Genf, dem eigentlichen Startpunkt unserer Tour am Montag. Bei der Einreise in die Schweiz wurden wir herausgewunken, doch nach etlichen Fragen und Antworten schienen wir den Beamten dann doch vertrauenswürdig zu sein. Also erreichten wir unser Ziel halbwegs pünktlich am Samstagabend, wo unsere privaten Gastgeber, die unsere Partner vor Ort für uns organisiert hatten, schon auf uns warteten. Sie empfingen uns herzlich und wir diskutierten teilweise bis spät in die Nacht, bevor es am nächsten Morgen zum Treffen der internationalen Treaty Alliance und der Global Campaign ging – den weltweiten Bündnissen jeweils hunderter Nichtregierungsorganisationen, die alle für einen wirksamen UN-Vertrag zur Durchsetzung der Menschenrechte in der globalisierten Wirtschaft kämpfen (Attac Deutschland ist Mitglied in beiden). Der im Tagungsraum versammelte Sachverstand war beeindruckend und es wurde besprochen, wie man im Laufe der bevorstehenden Verhandlungswoche gemeinsame agieren wollte.

Artikel in der taz von Andreas Zumach
Artikel in der FR von Tobias Schwab

Es wäre spannend gewesen, selbst dabei zu sein. Schließlich finden diese UN-Verhandlungen, ganz anders als diejenigen zu TTIP, CETA und Co., keineswegs hinter verschlossenen Türen, sondern unter Mitwirkung der Zivilgesellschaft statt. Doch "leider" endete unser Aufenthalt in Genf ja nach unserer Aktion zum Verhandlungsauftakt am Montagvormittag: Auf dem Place des Nations, direkt vor dem UN-Gebäude, bauten wir erneut unsere Kartonwand auf, diesmal natürlich mit englischen Schriftzug ("Corporate Power"), und zum ersten Mal führten wir auch eine kleine Spielszene auf, die auch die Verbindung zu den zeitgleich in Wien beginnenden UN-Verhandlungen zu einer Reform der Investitionsschiedsgerichte herstellte: "Dieser Staat hat ein Gesetz verabschiedet, das meine Gewinne um 10 Prozent schmälern könnte," sagt in dieser Szene der von dem klagenden Unternehmen bestellte Schiedsrichter – worauf der von dem beklagten Staat bestellte antwortet: "Dieses Unternehmen hat die Umwelt und das Leben Tausender Menschen zerstört – dagegen mussten wir etwas unternehmen." Doch nichts zu machen, denn der den Ausschlag gebende, dritte Schiedsrichter entscheidet: "Menschenrechte, Umwelt? Leider steht in dem Investitionsschutzvertrag nichts davon, und also tut es nichts zur Sache. Staat, Du musst dem Investor 500 Mio. US-Dollar Schadenersatz zahlen."

Daraufhin übergibt der Staat einen großen Geldsack, doch "Justitia", die Göttin der Gerechtigkeit, im weißen Umhang, mit Waage und Schwert, ruft zum Widerstand auf – und tatsächlich erheben sich etwa 20 in weißen Maleranzügen steckende Aktivist*innen, um die drei Schiedsrichter mit einer großen Kette gefangen zu nehmen und die "Corporate Power"-Kartonwand abzutragen. "Human rights over profits!" schallt es über den Platz und das ist eine Aufforderung an die vorbei eilenden Staatenvertreter, den Verhandlungen zu einem "Binding Treaty" zum Erfolg zu verhelfen – damit Unternehmen endlich wirksam zur Achtung von Menschenrechten verpflichtet werden.

Nach der Spielszene werden noch einige Reden gehalten – von uns und unseren Partner*innen von der Global Campaign, darunter auch Aktivist*innen aus dem globalen Süden, wo die Mehrzahl der von Konzernen begangenen Menschenrechtsverletzungen stattfindet. Auch ist die Presse gut vertreten und durch die direkte Präsenz vor dem Verhandlungsgebäude gewinnt die Aktion zusätzlich an Aufmerksamkeit und Gewicht.

 

... und weiter nach Saint-Prex ...

Am frühen Mittag erreichte unser Aktionsbus Saint-Prex. Direkt vor dem Sitz der Vale International AG, einer Tochter des brasilianischen Bergbaukonzerns, protestierten wir gemeinsam Attac Schweiz und anderen Aktivist*innen der Region. Der Sprechgesang: "Justice pour Brumadinho" (Gerechtigkeit für Brumadinho) richtete sich direkt an den Konzern. Der Minenbetreiber Vale ist verantwortlich für den folgenschweren Dammbruch in Brumadinho. Die Protestierenden trugen mit Lehm und Blut beschmierte Anzüge, um diese Katastrophe, bei der hunderte um ihr Leben kamen, greifbarer darzustellen. Eine brasilianische Aktivistin erhob vor Ort ihre Stimme gegen diesen Konzern. Auch Umweltaktivist*innen von Extinction Rebellion waren anwesend. Gleichzeitig wies Attac auf die Notwendigkeit von bindenden Menschenrechtsregeln für Konzerne hin. Neben Vertreter*innen von Printmedien war auch ein Fernsehsender angereist.

... und schließlich Basel

Am Montagabend kamen wir in Basel an, hier fand unsere Aktion auf dem Marktplatz vor dem schönen Rathaus statt. In einer gemeinsamen Presseerklärung der lokalen Attac-Gruppe mit Multiwatch (Schweiz) wurden speziell die Schweizer Großkonzerne Glencore und Novartis kritisiert, die sich mit privaten Schiedsgerichtsverfahren gegen Staaten weltweit ihre Profite sichern.

Einigermaßen ermattet nahmen wir anschließend die Einladung zu einem kleinen Abendessen durch Multiwatch gerne an, bevor wir uns alle zusammen aufmachten, um erneut privat bei sehr netten Aktivist*innen zu übernachten.

Dienstag, 15. Oktober 2019: Zug ...

Gestärkt von einem guten Frühstück ging es am Dienstagmorgen zurück in die Zentralschweiz, nach Baar in der Nähe von Zug, wo uns bereits weitere Aktivist*innen von Attac Schweiz erwarten. In Baar hat der Konzern Glencore seinen Sitz, der zu den weltweit größten Rohstoffkonzernen gehört. Wie ein Aktivist von Attac Zürich in seiner sehr kundigen Rede darlegte, schädigt er durch seine Bergwerke massiv die Umwelt und die Bevölkerung nicht nur in Kolumbien. Und als hätte es einer Illustrierung bedurft, tauchte auf einmal ein Shuttle-Bus auf, dessen Fahrerin sehr rücksichtslos an uns vorbei auf das Firmengelände bog und es etwas später noch rücksichtsloser wieder verließ. Doch zum Glück waren wir ja in der Schweiz und so wohnte dem immerhin die Polizei bei, die dann auch zu uns kam und uns versicherte, dass sie den Vorfall nicht auf sich beruhen lassen würde.

... und München

Nach einer kurzen Mittagspause hatte uns die Straße wieder. Das Ziel war München, Wittelsbacher Platz. Am frühen Abend kamen wir dort an, um gemeinsam mit Attac München, dem Ökumenischen Büro München und der Münchener Gruppe der brasilianischen "Resistência Democrática" vor der Siemens-Zentrale zu demonstrieren. In einer engagierten Rede prangerte einer der Aktivist*innen von "Resistência Democrática", die sich 2018 zur Verhinderung der Wahl des Präsidenten Bolsonaro gegründet hat, unter anderem an, dass Siemens und die deutsche Voith Hydro beim "Bau des Wasserkraftwerkskomplexes Belo Monte, der gerade am Xingu Fluss entsteht, ... kräftig verdient" hätten "an einer Baustelle, auf der Folter und Morde an indigenen Anführern und Umweltschützern stattgefunden haben. Die Tatsachen, die von Siemens zugegeben wurden, beinhalten die Verletzung des Rechts auf vorherige Beratung, auf Landrechte, kulturelle Unversehrtheit, auf Nahrung und Gesundheit sowie auf einen geregelten juristischen Ablauf."

Außerdem, so der Redner weiter, "versichern Unternehmen aus München, wie die MunichRe und die Allianz, Bauprojekte, die von Menschenrechtsorganisationen heftig kritisiert werden, wie eben etwa das Staudammprojekt Belo Monte. ... Und auch Volkswagen hat noch einige Rechnungen offen. Schon zu Zeiten der Militärdiktatur in Brasilien überwachte VW do Brasil oppositionelle Aktivitäten und erleichterte die Verhaftung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, inklusive Folter. Hier fragen wir uns: Ist der Profit eine Komplizenschaft bei derartigen Verbrechen wirklich wert? Keiner dieser transnationalen Konzerne wurde in irgendeiner Weise bestraft." Ein Erfolg der UN-Verhandlungen um einen "Binding Treaty", der die Menschenrechte klar über die unbegrenzte Handlungsfreiheit der Unternehmen stellt, sei deshalb dringend erforderlich – doch hindere die Unternehmen selbstverständlich niemand daran, auch jetzt schon ihre klare moralische Verantwortung wahrzunehmen: "Kürzlich signalisierte Siemens, dass es keine Ausrüstung mehr für Bergbau in indigenen Gebieten liefern werde. Die Unternehmen sollten sich wahrhaftig zu solchen Schritten durchringen. Tun Sie sich selbst einen Gefallen: Menschenrechte haben Vorrang!"

Mittwoch, 16. Oktober 2019: Innsbruck ...

Am Mittwochmorgen mussten wir uns in München früh von unseren erneut sehr netten privaten Gastgeber*innen trennen und so kamen wir auch pünktlich am späten Vormittag in der Tiroler Landeshauptstadt Innsbruck an. Bei bestem Wetter und eindrucksvollem Bergpanorama führten wir unsere Aktion im schönen historischen Zentrum Innsbrucks gemeinsam mit Aktivist*innen der lokalen Attac-Gruppe sowie von vom österreichischen "südwind" durch. Zahlreiche Passant*innen und Cafébesucher*innen wohnten unserer kleinen Theaterszene bei oder diskutierten mit uns am Stand.

... und Salzburg

Allerdings mussten wir dann auch schon wieder weiter, denn am späten Nachmittag warteten in Salzburg bereits lokale Aktivist*innen unter anderem von Attac, dem Bündnis Anders Handeln und erneut südwind auf uns. Auf dem kleinen "Platzl" gegenüber der Salzburger Altstadt waren erneut viele Passant*innen und Cafébesucher*innen anwesend.

Bewirtet wurden wir anschließend von einer katholischen Einrichtung, wo man eine leckere Gemüsesuppe für uns gekocht hatte. Danach fuhren wir zum Kolpinghaus, um dort direkt an der Salzach zu übernachten.

Donnerstag, 17. Oktober 2019: Wien!

Letzte Etappe – Wien! Kurz vor 14 h waren wir da. Gerade noch Zeit für eine "Mehlspeise" und einen "Großen Braunen". Dann hieß es, vor dem "Juridikum", der Juristischen Fakultät der Universität Wien, wo viele Investitionsschiedsrichter ausgebildet werden: Alles ein letztes Mal aufbauen! Das Publik bestand dieses Mal vorrangig aus Jura Studierenden, gern auch mal im Anzug. Doch tatsächlich war durchaus Interesse da und es entwickelten sich interessante Gespräche, auch über das Attac-Material, in dem konkrete Fälle von Investor-Staat-Schiedsgerichtsverfahren aufbereitet sind.

Es war ein großartiger Abschluss, den wir mit vielen weiteren Aktivist*innen von Attac und Anders Handeln teilten. Die österreichische Produktionsgewerkschaft war auch dabei und lud uns nach der Aktion alle in ein von Flüchtlingen betriebenes Restaurant ein. Mit dabei auch unsere private Gastgeberin, eine "Ur-Attaci" aus Wien, in deren großer Altbauwohnung wir alle übernachteten und die uns am nächsten Vormittag bei einer Rundfahrt noch an den schönsten Plätzen Wiens vorbei führte, bis wir dann schließlich die Heimreise antraten – erfüllt nicht zuletzt von den vielen Begegnungen mit zahlreichen Gleichgesinnten, mit denen wir in Zukunft sicher noch das ein oder andere gemeinsam auf die Beine stellen werden.